Francos Augenbrauen

Zum 40. Todestag des spanischen Diktators: Eine Ausstellung bei Madrid zeigt Monumentales aus umgekehrter Perspektive

  • Erich Hackl
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit dem Tod Francos vor 40 Jahren endete in Spanien die Ära der faschistischen Diktatur. In einem Vorort von Madrid setzt sich eine Ausstellung nicht nur mit dem Leben des Diktators auseinander.

Móstoles ist mit über 200 000 Einwohnern die größte Stadt im Industriegürtel Madrids. Trotzdem umfängt einen, steigt man Sonntag vormittags aus dem Vorortzug, dörfliche Stille. Drei, vier Läden von und für Immigranten aus Rumänien, China und Afrika, ein paar schütter besuchte Cafés, eine Versicherungsfiliale, die mit dem Foto des Torwarts der spanischen Nationalmannschaft, Iker Casillas, wirbt, der in Móstoles geboren und aufgewachsen ist. Wenige Schritte weiter ein Museum für zeitgenössische Kunst, das Centro de Arte 2 de Mayo (CA2M), das mit seinem politischen Anspruch so gar nicht in diese beschauliche Umgebung zu passen scheint. Dabei ist der Name nicht schlecht gewählt, verweist er doch auf ein Schlüsselereignis der nationalen Geschichte, das hier seinen Ausgang genommen hat: Am 2. Mai 1808 hatte der damalige Bürgermeister von Mósteles, Andrés Torrejón, Frankreich den Krieg erklärt und damit die landesweite Revolte gegen die napoleonische Herrschaft ausgelöst. Durch Goyas berühmtes Bild von der Erschießung der Aufständischen, einen Tag später und im 18 Kilometer entfernten Madrid, ist der Unabhängigkeitskrieg in die Kunstgeschichte eingegangen.

Obwohl das Originalgemälde im Prado hängt, ist es auch in der Ausstellung Más allá (»Weiter weg«) präsent, die im CA2M noch bis Ende Februar läuft und die Beharrlichkeit zeigt, mit der sich der 45-jährige, international renommierte Künstler Fernando Sánchez Castillo mit Herrschaft und Revolte auseinandersetzt: Seine Version der »Erschießung der Aufständischen vom 3. Mai auf dem Berg von Príncipe Pío in Madrid« beruht auf einer Radiografie der Schäden, die das Gemälde bei der Evakuierung der spanischen Kunstschätze in den letzten Tagen des Bürgerkriegs 1939 erlitten hatte. Das farblose, nur aus Flecken und Linien bestehende Gebilde zeigt ebenso deutlich wie die fünf Meter hohe Skulptur im Eingangsbereich - eine 3D-Rekonstruktion des jungen Mannes, der sich auf dem Pekinger Tiananmen-Platz allein den anrollenden Panzern entgegenstellte -, worauf es Sánchez Castillo in seinen Arbeiten ankommt: gegen die Geschichtsdarstellung der Sieger anzugehen, dabei aber deren Monumentalität zu übernehmen und gegen sie zu wenden.

Castillo verhöhnt, zerstört - und errichtet Denkmäler. Ein Bronzeguss zum Beispiel zeigt, wie zwei jugendliche anti-sistema (Autonome, auf deutsch) die Statue eines Feldherrn zertrümmern. Ebenfalls in Bronze gegossen, eine Barrikade aus Reifen und Ästen. Nachbildungen der Löwen, die den Aufgang zum spanischen Parlament bewachen: von Sánchez Castillo zu Bronzescherben verkleinert, in Anspielung auf die Bannmeile, die Spaniens rechte Regierung im Vorjahr um das Parlamentsgebäude gelegt hat.

Dazu eine Reihe von Fundstücken aus der Zeitgeschichte Spaniens, die einiges Wissen um die Fallhöhe von Verehrung und Verachtung voraussetzen: Eine Sicherheitsvitrine aus dem staatlichen Heeresmuseum, die zwei Augenbrauenhaare Francos birgt. Ein Panzerschrank mit der dazugehörigen DNA-Analyse. Als drittes das Reserverad des Lastwagens (mit Originalluft!), in dem der tote Diktator vor 40 Jahren zur Bestattung ins Tal der Gefallenen überführt wurde. Ein Quader Schrott erweist sich als Rest von Francos Freizeitjacht »Azor«. Man muss sich in Erinnerung rufen (oder an der Wandtafel nachlesen), dass die Jacht bis 1990 auch von den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Spaniens für Segeltörns benutzt, dann versteigert und von einem Unternehmer als Attraktion für sein Restaurant erworben wurde. Nachdem dieser pleite gegangen war, landete die Jacht bei einem Schrotthändler. Eine Metapher für den Übergang von der Diktatur zur neoliberal gewendeten Demokratie.

Die Ausstellung in Móstoles ist die einzige in ganz Spanien, die aus Anlass des 40. Todestages Francos den Spuren der Gewaltherrschaft folgt und dabei die Versäumnisse in der Auseinandersetzung mit ihr aufzeigt. Erstaunlich, was Sánchez Castillo dabei zu Tage fördert, und wie er es künstlerisch umsetzt. Ein eigener Zyklus zum Beispiel widmet sich dem Sprengstoffanschlag gegen Francos Regierungschef und geplanten Nachfolger Luis Carrero Blanco im Dezember 1973. Weil das Attentat von einem ETA-Kommando begangen wurde und überdies der hegemonialen Auffassung vom friedlichen demokratischen Übergang zuwiderläuft, wird es selten erwähnt. Sánchez Castillo macht es zum Monument - indem er einen Querschnitt des Tunnels, den die Etarras gegraben hatten, in Marmor nachbildet. Er zeigt auch, im Format 1:5, Carreros Limousine bzw. das, was von ihr nach dem Anschlag übrigblieb. Eine andere Reminiszenz an den Widerstand ist ein Videofilm über hunderte, tausende Glasmurmeln, die über die Stiegen und durch die Gänge eines leeren Universitätsgebäudes rollen. Mit solchen Murmeln brachten oppositionelle Studenten die Pferde der berittenen Polizei zu Fall. An das gespannte Klima in den ersten Jahren der Demokratie erinnert die riesige durchsichtige Urne, in der Picassos »Guernica« nach der Rückkehr aus dem New Yorker Exil zur Schau gestellt wurde. Sie schützte das Gemälde sogar vor Handgranatenwürfen.

Das Schöne ist, dass Sánchez Castillo fast ohne Ironie auskommt. Dafür hat er Humor. Für einen Film lässt er zwei Wasserwerfer der Rotterdamer Bereitschaftspolizei zu Walzerklängen buchstäblich tanzen, für einen andern Soldaten der peruanischen Luftwaffe mit Waffen, Steinen und Knochen auf Flugzeugwände trommeln. Nur selten gleitet er ins Plakative, Unscharfe ab, so bei der mehr spekulativen als spektakulären Installation in der Nische vor dem Museum, wo in einem Brunnen Büsten von Franco, Stalin, Mussolini und Louis XIV. stehen.

Eigentlich hätten die Büsten der Vier, wasserspeiend, einander bespucken sollen. Aber bei meinem Besuch war die Wasserleitung verstopft, und die vielen Leute ringsherum waren nur wegen Gratis-WiFi gekommen. Im Museum selbst gab es mehr Aufseherinnen als Besucher, während sich zur selben Zeit und más allá, auf Madrids Kunstmeile um die Museen Prado, Reina Sofía und Thyssen, die Touristen drängten.

Bis 28. Februar 2016; www.ca2m.org

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