Erdogan und das riskante Spiel mit der euro-asiatischen Schlüsselstelle

Der türkische Staatspräsident will eine bedeutendere Rolle für sein Land in der Region - mit bisher sehr unterschiedlichem politischen Erfolg

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.
Während der türkische Staatschef Erdogan artig am Verhandlungstisch mit den Mächtigen der Welt konferiert, geht sein Militär zu Hause mit harter Hand gegen alles Unbotmäßige vor.

Die gegen die staatliche Repression hungerstreikenden vier Abgeordneten der Demokratischen Partei der Völker in der südosttürkischen Stadt Nusaybin wollten am Donnerstag ihre Aktion fortsetzen, auch nachdem die Blockade gefallen war. Sie fordern aber außerdem eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Zudem müssten Sicherheitskräfte, die für den Tod von Zivilisten verantwortlich seien, bestraft werden. Die Behörden hatten vergangenen Freitag in Nusaybin in der Provinz Mardin eine Ausgangssperre verhängt. Die Armee geht dort mit schweren Waffen gegen PKK-Kämpfer vor.

Als Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den Dialogprozess mit der PKK im Sommer abrupt aufkündigte, wurde er dafür auch von der EU heftig kritisiert. Der türkische Staat sollte alles vermeiden, »was die Waffenruhe und den Friedensprozess gefährdet«, ermahnte die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, den türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu.

Auch aus Deutschland gab es ungewohnt deutliche Worte: »Genauso, wie es richtig ist, dass die Türkei das Recht hat, sich gegen (die Terrormiliz) IS zu wehren, genauso wichtig ist es, dass sie den eingeschlagenen Pfad der Versöhnung mit der kurdischen Arbeiterpartei nicht verlässt«, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Juli. Von dieser fordernden Attitüde ist allerdings nichts geblieben.

Inzwischen war Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Erdogan und bat ihn wohl beinahe inständig darum, dafür zu sorgen, dass er seine Grenzen Richtung Europa schließt, um die Flüchtlingszuwanderung zu stoppen. Kann er das überhaupt? Das türkische Blatt »Milliyet« schrieb, keine Fliege könne Kleinasien Richtung Westen verlassen, wenn Erdogan das nicht wolle. Das ist sicher übertrieben, ein wenig. Die Schmeichelei wurde von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu mit so sichtlicher Genugtuung in einer Art zurückgewiesen, dass sie als Bestätigung gelten darf. Erdogan will sich eine mögliche Rolle als Wachhund an der Schlüsselstelle zwischen Asien und Europa hoch vergüten lassen. Außerdem verlangt er deutliche Fortschritte bei den EU-Aufnahmegesprächen, konkret heißt das: Hört gefälligst auf, meine Innenpolitik zu kritisieren. Vor allem verlangt Erdogan freie Hand bei seinem Feldzug gegen die PKK. Man gewährt sie ihm. Und es gibt Geld. Informell sind Ankara bereits drei Milliarden Euro für Flüchtlingslager zugesagt worden. Er hat die EU am Haken und wird sie das künftig noch reichlich spürten lassen

Was Erdogan dagegen schmerzt, hat gerade damit sehr viel zu tun. Nicht dass man den Eindruck hätte, ihm ginge das Schicksal der aus Syrien Geflohenen besonders nahe. Erdogan hat den syrischen Bürgerkrieg nach Kräften angeheizt und hohe Flüchtlingszahlen in Kauf genommen im Vertrauen, dass der auch von ihm betriebene Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad bestenfalls eine Frage von Monaten sei. Assad passt nicht in Erdogans regionale Pläne, doch die Türken haben sich deutlich verkalkuliert. Mit dem massiven militärischen Eingreifen Russlands auf Seiten Assads dürfte der Wunschtraum von dessen baldigem Sturz noch weniger realistisch sein als etwa zur Jahresmitte.

Eine weitere Pleite resultiert für Erdogan aus dem latenten Laissez-faire gegenüber dem Islamischen Staat (IS). Die allenfalls von Saudi-Arabien steuerbaren extremistischen Freischärler erweisen sich für die gewährte stille Hilfe bei Grenzübertritten nach Syrien als wenig dankbar und überhaupt nicht berechenbar. Und nach Paris hilft auf lange Zeit wohl nur noch strikte Distanz gegen über dem IS.

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