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Lawrow wirft Türkei »geplante Provokation« vor

Nach Abschuss des russischen Kampfjets: Zweiter Pilot nach Abschuss in Sicherheit / Russischer Verteidigungsminister will alle diplomatischen Kontakte mit Türkei einfrieren / UNO warnt vor weiterer Eskalation

  • Lesedauer: 8 Min.

Update 13.55 Uhr: Lawrow wirft Türkei »geplante Provokation« vor
Russland wertet den Abschuss seines Kampfflugzeugs durch das türkische Militär als »geplante Provokation«. »Wir haben ernsthafte Zweifel daran, dass dies unbeabsichtigt war«, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch in Moskau. Russland habe genügend Informationen, dass der Abschuss im türkisch-syrischen Grenzgebiet am Vortag geplant gewesen sei, sagte er nach einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu. »Dies war ganz offensichtlich ein Hinterhalt: Sie warteten, beobachteten und haben einen Vorwand gesucht«, meinte Lawrow. Die Atommacht Russland werde jetzt nicht mit dem Nato-Land Türkei Krieg führen.

Update 12.05 Uhr: Putin: Zweiter Pilot nach Abschuss in Sicherheit
Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei hat Präsident Wladimir Putin die Rettung eines der beiden Piloten bestätigt. Der Soldat befinde sich auf der russischen Basis Hamaimim südlich von Latakia in Syrien, sagte der Kremlchef am Mittwoch der Agentur Interfax zufolge. Libanesische Medien hatten berichtet, die syrische Armee habe den Mann in Sicherheit gebracht. Putin bestätigte, dass der zweite Pilot bei dem Zwischenfall am Vortag ums Leben gekommen sei. Er kündigte zum Schutz der Basis die Verlegung des Flugabwehrraketensystems S-400 nach Hamaimim an.

Der russische Präsident kritisierte die Türkei erneut scharf. Die Regierung in Ankara verfolge eine Politik der Islamisierung des Landes. Die Unterstützung radikaler Richtungen schaffe eine sehr ungünstige Atmosphäre, sagte Putin der Agentur Interfax zufolge. Sein Sprecher Dmitri Peskow bekräftigte, dass Russland den Abschuss als Verstoß gegen das Völkerrecht und eine außerordentlich unfreundliche Handlung werte. Ein gemeinsamer Anti-Terror-Kampf mit der Türkei stehe in Zweifel. Verteidigungsminister Sergej Schoigu bekräftigte, dass Moskau alle militärischen Kontakte mit Ankara vorerst einfrieren werde. Er widersprach damit dem russischen Botschafter in Paris. Der Diplomat Alexander Orlow hatte in einem Interview gesagt, zum Terrorkampf sei Russland zur Einrichtung einer gemeinsamen Kommandozentrale unter anderem mit der Türkei bereit.

Update 11.30 Uhr: LINKE kritisiert Verletzung der Souveränität Syriens
Alexander Neu, Bundestagsabgeordneter der Linksfraktion, kritisierte die Reaktion des Auswärtigen Amts auf den türkischen Abschuss der russischen Su-24. Während die Souveränitätsverletzungen des syrischen Luftraums durch die USA, Frankreichs und Großbritanniens im Rahmen des UN-Selbstverteidigungsrechts als rechtens angesehen würden, werde die Verletzung des türkischen Luftraums durch Russland kritisiert. »Das ist Messen mit zweierlei Maß auf höchstem Niveau«, erklärte Neu. »Die wachsende Gefahr für den Weltfrieden ergibt sich zunehmend auch dadurch, dass die Souveränität Syriens durch den Westen und die Golfmonarchien verletzt wird und das syrische Staatsgebiet völkerrechtswidrig für ‚vogelfrei› erklärt wurde.« Neu forderte die Bundesregierung auf, auf Katar, Saudi-Arabien und die Türkei einzuwirken, »die bedrohliche weltpolitische Lage nicht noch durch weitere unsinnige Manöver anzuheizen.«

Update 11.00 Uhr: Nach Abschuss des Kampfjets: Erdogan plädiert für Deeskalation
Nach dem Abschuss des russischen Kampfjets durch die Türkei hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan für eine Entschärfung des Konflikts geworben. »Wir denken definitiv nicht an so etwas wie eine Eskalation dieses Zwischenfalls«, sagte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch in Istanbul. »Wir verteidigen nur unsere eigene Sicherheit und das Recht unserer Brüder.« Laut Erdogan stellte sich erst nach dem Abschuss des Kampfjets heraus, dass es sich um ein russisches Flugzeug handelte.

Erdogan kritisierte erneut die Luftangriffe der Russen in der von der turkmenischen Minderheit besiedelten syrischen Grenzregion zur Türkei, in der das abgeschossene Kampfflugzeug operierte. »Es wird behauptet, sie würden dort gegen Daesch (die Terrormiliz Islamischer Staat/IS) vorgehen.« Dort sei der IS aber gar nicht vertreten. Die Türkei versteht sich als Schutzmacht der Turkmenen in Syrien.

Update 10.50 Uhr: LINKE: »Terror bekämpft man nicht mit Krieg«
Mit Blick auf den Anti-Terrorkampf wandte sich Fraktionschef Dietmar Bartsch bei der Generaldebatte im Bundestag gegen den Einsatz militärischer Mittel. Bomben seien keine Strategie. »Terror bekämpft man nicht mit Krieg«, sagte der Fraktionschef. »Die Spirale der Gewalt liefert den Terroristen immer neue Attentäter.« Bartsch mahnte mehr diplomatische Anstrengungen sowie Konzepte für Länder wie Syrien an. Es müsse zudem ein effektives Waffenembargo geben. Denn niemand wisse, wo die aus Deutschland kommenden Waffen letztlich landeten.

Update 9.55 Uhr: Botschafter: Russland will »Generalstab« mit USA und Türkei gegen IS
Im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) ist Moskau nach Angaben seines Botschafters in Paris zur Einrichtung eines »gemeinsamen Generalstabs« mit den USA, Frankreich und anderen Ländern wie selbst der Türkei bereit. »Wir sind bereit, (...) zusammen Luftangriffe auf Positionen von Daesch zu planen und dafür eine gemeinsamen Generalstab einzurichten mit Frankreich, mit Amerika, mit allen Ländern, die sich an dieser Koalition beteiligen wollen«, sagte Botschafter Alexander Orlow am Mittwoch dem französischen Radiosender Europe 1. »Die Türken sind willkommen, wenn sie wollen.«

Update 9.50 Uhr: Zweiter abgeschossener russischer Pilot gerettet
Eine Kommandoeinheit der syrischen Armee hat den zweiten Piloten des abgeschossenen russischen Jets in Sicherheit gebracht. Er sei bei einer Aktion »hinter den Linien der Bewaffneten (Rebellen)« gerettet worden, meldete am Mittwoch die libanesische Nachrichtenseite Al-Mayadeen, die gute Kontakte zu Syriens Regierung hat. Auch der russische Botschafter in Frankreich, Alexander Orlow, sagte dem französischen Radiosender Europe 1: »Den zweiten Piloten hat die syrische Armee herausgeholt.« Laut Al-Mayadeen wurde der Pilot zu einem Militärflughafen in der Nähe der Stadt Latakia gebracht. Der andere Pilot des abgeschossenen Flugzeugs war nach Angaben aus Moskau ums Leben gekommen. Syrische Rebellen verbreiteten dazu im Internet ein Video, das seinen Leichnam zeigen soll.

Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete zudem neue russische Luftangriffe auf Rebellen nahe der Grenze zur Türkei im Nordwesten Syriens. Dort war das russische Flugzeug abgeschossen worden. Es gebe seit dem Morgen auch heftige Kämpfe zwischen Anhängern und Gegnern des Regimes, hieß es weiter.

Abschuss von Su-24: Gabriel nennt Türkei »unkalkulierbar«

Berlin. Nach dem Abschuss eines russischen Militärflugzeugs im türkisch-syrischen Grenzgebiet wächst die Sorge vor einer nochmaligen Verschärfung der ohnehin schon gespannten Lage in der Region. Die Vereinten Nationen äußerten sich besorgt über eine mögliche Eskalation. Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, forderte, die NATO müsse wieder stärker mit dem russischen Militär kommunizieren. US-Präsident Barack Obama telefonierte mit dem autoritären türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Danach hieß es, beide seien sich einig darin gewesen, dass Vorkehrungen getroffen werden müssten, damit sich solch ein Vorfall nicht wiederhole.

Die Maschine wurde nach Darstellung Ankaras getroffen, nachdem sie in den türkischen Luftraum eingedrungen war. Moskau betont hingegen, der Jet habe sich über syrischem Gebiet befunden. Nach Darstellung des türkischen UN-Botschafters Halit Cevik flogen zwei russische Flugzeuge für 17 Sekunden durch den türkischen Luftraum. Ein US-Militärvertreter bestätigte dies; es sei aber unklar, ob die türkische Luftwaffe während der Luftraumverletzung geschossen habe oder erst, als die russischen Maschinen wieder über Syrien gewesen seien.

Moskau betonte, der Flieger habe für die Türkei keine Gefahr dargestellt und sei über syrischem Boden abgeschossen worden, womit sich die türkische Regierung zu »Helfershelfern von Terroristen« gemacht habe. Die türkische Regierung betonte, die Grenzverteidigung sei »sowohl unser internationales Recht als auch unsere nationale Pflicht«. Als Reaktion auf den Vorfall werden alle Luftwaffeneinsätze Russlands gegen die Terrormiliz IS in Syrien ab sofort von eigenen Kampfjets begleitet, wie der Generalstab in Moskau laut des staatlichen Nachrichtenportals »Sputniknews« bekanntgab. Zuvor hätten Bomber keinen derartigen Schutz bekommen. Außerdem wurde der russische Raketenkreuzer »Moskwa« demnach angewiesen, vor der syrischen Mittelmeerküste Position zu beziehen und alle Ziele zu vernichten, die Russlands Luftwaffe in dem Bürgerkriegsland gefährden könnten.

»Der Abschuss ist ein schwerer Rückschlag«, sagte der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), der »Huffington Post«. Einen NATO-Bündnisfall halte er jedoch »für unwahrscheinlich, weil eine Bewertung des Vorfalls im Moment unmöglich ist. Um alle Einzelheiten zu kennen, müssten beide Seiten Gespräche führen. Doch daran hat zumindest die türkische Seite im Moment kein Interesse.«

Zuvor hatte Vizekanzler Sigmar Gabriel Ankara kritisiert. »Erstmal zeigt der Zwischenfall, dass wir einen Spieler dabei haben, der nach Aussage von verschiedenen Teilen der Region unkalkulierbar ist: Das ist die Türkei und damit nicht die Russen«, sagte der SPD-Chef am Dienstag bei einer Konferenz der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Dass die Russen jetzt die Konfrontation auslösen durch die Verletzung des Luftraums, darf einen ja nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Türkei dort in diesem Konflikt eine schwierige Rolle spielt.« Es sei »denkbar«, dass dadurch ein Schaden für die angestrebte Koalition gegen den IS unter Einbeziehung Russlands entstehe.

Russlands NATO-Botschafter Alexander Gruschko kritisierte nach der von Ankara beantragten Sondersitzung des Bündnisses am Dienstag, die Türkei sei für ihr Verhalten nicht verurteilt worden. Auch habe Moskau keine Beileidsnote nach dem Tod zweier Piloten erhalten. Einer von ihnen saß nach russischen Angaben in dem abgeschossenen Bomber, der andere in einem Hubschrauber, der von syrischen Rebellen auf dem Weg zur Rettung der verunglückten Flugzeugbesatzung beschossen wurde. Das Schicksal des zweiten Suchoi-Piloten ist ungeklärt. Für Russlands Streitkräfte sind es die ersten offiziell bestätigten Verluste seit Beginn ihrer Intervention im syrischen Bürgerkrieg im September. Agenturen/nd

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