Die Halbinsel Krim in der Dunkelheit

Einwohner leiden unter der Blockade und kritisieren Ukrainer, Krimtataren und die russischen Behörden

  • Denis Trubetskoy, Simferopol
  • Lesedauer: 7 Min.
Seit bald zwei Wochen kämpft die Krim mit einer globalen Stromkrise. Doch die Rückkehr in die Ukraine ist für die Mehrheit der Bevölkerung keine Option.

Wladislaw Ossipow wollte Samstagabend bloß ins Kino gehen. Der freie Journalist ist großer Fan der James-Bond-Reihe. Nun lief der neue Film »Spectre« auf der Krim - und Ossipow hatte endlich einen freien Abend. »Das war irgendwie lustig. ›Schieß doch‹, sagte der Bösewicht zu Bond. Dann wurde die Leinwand dunkel.«

Auf der gesamten Halbinsel fiel in der Nacht zum 22. November der Strom aus. Die Masten, die die Krim mit Strom vom ukrainischen Festland versorgten, wurden gekappt. Dafür sind vermutlich die Vertreter der »Zivilen Blockade der Krim« verantwortlich, die seit Ende September die Halbinsel boykottieren. Sie blockieren Lkw, die Lebensmittel auf die Halbinsel bringen, und wollen den gesamten Handel mit dem von Russland besetzten Gebiet verhindern. Nun wollen radikale Krimtataren und Anhänger des Rechten Sektors eine Energieblockade erzwingen. Und was macht der ukrainische Staat? Er schaut zu.

Die Nacht des Blackouts liegt jetzt bald zwei Wochen zurück - und für den Ausnahmezustand auf der Krim ist kein Ende in Sicht. Immer noch müssen die Menschen auf der Schwarzmeerhalbinsel weitgehend ohne Strom ausharren. In den wichtigsten Städten wie Simferopol und Sewastopol gibt es zwischen vier und sechs Stunden Strom pro Tag, kleinere Orte haben nicht einmal das. »Vor kurzem hatten wir noch 19 Orte, die überhaupt keinen Strom haben. Zum Glück haben wir das Problem schon gelöst«, erklärt Sergej Aksjonow, Ministerpräsident der Krim, die aktuelle Stromlage. Doch ein viel größeres Problem bleibt bestehen.

Mit stabilen Stromlieferungen aus der Ukraine kann Moskau nicht mehr rechnen. »Die Hoffnung haben wir bereits aufgegeben«, gab das Energieministerium in Moskau vor einigen Tagen zu. So steht Russland vor einer Mammutaufgabe: Auf der Krim muss so schnell wie möglich ein völlig neues Energiesystem aufgebaut werden, das unabhängig von der Ukraine ist. Der erste Befreiungsschlag soll schon in den kommenden Wochen erfolgen. Bis zum 22. Dezember soll der erste Teil der »Energiebrücke«, eines Unterseekabels vom russischen Festland durch die Straße von Kertsch, funktionieren.

»Ich hoffe, das wird viel schneller der Fall sein. Aus unserer Sicht ist alles dafür vorbereitet«, sagt Aksjonow mit einem gewissen Optimismus. Als mögliches Datum wird nun der 7. Dezember genannt. »Natürlich wird das helfen, denn das Energiesystem der Krim braucht im Moment jede Unterstützung. Auf der Halbinsel wird aber nur ein Viertel von dem ankommen, was die Krim eigentlich braucht«, berichtet der Energieexperte Wadim Aleksandrow. Er arbeitet seit 20 Jahren an der Stromversorgung der Krim. Aleksandrow glaubt: Auch die Inbetriebnahme der gesamten »Energiebrücke«, die im Juni 2016 folgen soll, wird nicht das gesamte Stromproblem der Krim lösen können.

»Theoretisch bekommen wir dann drei Viertel des nötigen Stroms vom russischen Festland. Die sonst noch benötigte Energie könnten wir auch selbst auf der Krim erzeugen. Das wäre möglich, doch ist das nur die Theorie«, betont Aleksandrow. Anders als sein Premierminister Aksjonow glaubt er, dass die Krim auf die »Energiebrücke« nur sehr unvollkommen vorbereitet sei. »Dieses Unterseekabel ist nur ein Teil der Lösung. Leider haben wir gar keine passende Infrastruktur im östlichen Teil der Krim. So werden uns zwar 800 Megawatt vom Festland geliefert - doch im Zentrum und im Westen der Halbinsel werden sie kaum ankommen«, klagt der Energieexperte. Der Bau der nötigen Infrastruktur könnte bis 2020 dauern.

Im Stadtzentrum von Simferopol, der Hauptstadt der Republik Krim, hört man das magische Wort »Energiebrücke« oft. »Ich habe gehört, dass sie schon in den nächsten Tagen funktioniert«, sagt eine Rentnerin. Eine andere stimmt ein: »Ich kann einfach nicht mehr warten. Ich habe mich schon irgendwie daran gewöhnt, aber auf Dauer geht das nicht, geht das gar nicht.« Auch ein junges Paar in der Simferopoler Leninstraße spricht über dieses Thema. »Ich hätte wirklich nie gedacht, dass eine solche Situation im 21. Jahrhundert möglich ist«, behauptet der junge Herr gegenüber seiner Partnerin.

Der 27-jährige Taxifahrer Igor Makejew sucht selbst das Gespräch. Beruflich profitiert er von der aktuellen Lage. Die Straßen von Simferopol sind abends total dunkel - viel mehr Menschen nehmen deshalb ein Taxi. Doch Makejew ist trotzdem stinksauer - vor allem auf die Regierung der Krim. »Ich verstehe, dass diese «Energiebrücke», oder wie dieses Ding heißt, ihre Zeit braucht. Aber all diese Aksjonows sagten immer: Wir sind vorbereitet, alles läuft nach Plan, wir fürchten uns vor nichts. Nun stellt sich heraus, dass alles nur gelogen war.«

Makejews Aussage entspricht der Meinung einer Mehrheit der Krim-Bewohner. Sie sind überrascht, überfordert und kämpfen mit den lokalen Behörden. Kritik an Russland und an seinem Präsidenten Wladimir Putin bleibt aber aus. »Es war doch vollkommen klar, dass es einmal zum großen Stromausfall kommen kann. Warum haben wir uns nicht vorbereitet? Warum sind alle auf einmal so hilflos und überrascht?«, stellt Makejew Fragen, die auch die Führung in Moskau beschäftigen.

Die russische Regierung ist mit dem Krisenmanagement der Krim-Behörden unzufrieden - und droht mit Konsequenzen. Die wichtigsten Entscheidungen trifft nun der russische Energieminister Alexander Nowak. Sowohl der bisherige Energieminister der Krim als auch sein Stellvertreter wurden gefeuert.

Die Überraschung, die in den Kabinetten der Macht auf der Krim herrschte, ist gleich aus zwei Gründen verwunderlich. Einerseits gab es schon am Ende des letzten Jahres Einschränkungen in der Stromversorgung durch die Ukraine. Anderseits läuft die von der krimtatarischen Versammlung Medschlis angeführte Blockade der Halbinsel schon seit Ende September. Und die Organisatoren rund um den Generaldirektor des krimtatarischen Senders ATR Lenur Isljamow gaben von Anfang an bekannt, dass sie die Energieblockade als zweite Stufe ihrer umstrittenen Aktion betrachten.

Das erklärte Ziel ist es, Druck auf Moskau aufzubauen, damit die Menschenrechtslage auf der Halbinsel sich verbessert - vor allem die Situation der russlandkritischen Krimtataren. Momentan laufen auf der Krim 16 Strafprozesse gegen Krimtataren, die meist politisch motiviert sind. Außerdem leben die Medschlis-Anführer Refat Tschubarow und Mustafa Dschemiljew weiterhin im ukrainischen Exil.

Ob die Initiatoren und ihre Helfer aber mit der Krim-Blockade ihrem Ziel näher kommen, wird auch von prominenten Krimtataren bezweifelt. Zu ihnen zählt auch Lilja Budschurowa, eine der bekanntesten Journalistinnen der Krim. Bis zur letzten Sekunde kämpfte sie als stellvertretende Generaldirektorin von ATR um das Verbleiben des krimtatarischen Senders auf der Halbinsel. Doch die Sendelizenz wurde von den Behörden in Moskau nicht verlängert. Das ganze ATR-Team um Isljamow sendet nun von Kiew aus - Budschurowa blieb aber aus Prinzip in Simferopol. Trotz realer Bedrohung. Kurz nach dem Beginn der Krim-Blockade wurde ihre Wohnung schon einmal vom russischen Sicherheitsdienst FSB durchsucht.

»Ich kenne keinen einzigen Krimtataren aus meiner Umgebung, der diese Aktion unterstützt. Natürlich gibt es bei uns Leute, die radikal proukrainisch sind und solche Maßnahmen begrüßen. Aber ich verstehe die ganze Logik nicht. Eine solche Blockade hätte im März 2014 Sinn gehabt, was soll das jetzt?«, fragt Budschurowa - und fügt hinzu: »Wenn das Ziel der Aktion ist, die politischen Gefangene freizubekommen, dann befürchte ich eher, dass die Lage sich in die Gegenrichtung entwickelt.«

Auch auf den Straßen ist viel Kritik an Krimtataren und Kiew zu hören. »Warum können wir nicht friedlich miteinander leben«, wundert sich ein 20-jähriger Student auf der Leninstraße in Simferopol. Solche Stimmen sind auch im Zentrum Sewastopols zu hören. »Ich habe wirklich nichts gegen Ukrainer und Krimtataren, aber das geht nun wirklich zu weit«, beklagt sich die 40-jährige Marina, die Englisch an einer Universität unterrichtet.

Sie steht in einer 100 Meter langen Schlange vor einem Supermarkt. Dutzende Menschen wollen sich mit Kerzen und Taschenlampen eindecken. Für alle reicht es nicht. Der Journalist Wladislaw Ossipow, der trotz seiner Tätigkeit für die kremltreue Nachrichtenagentur Regnum die Krim-Übernahme eher kritisch sieht, fragt: »Was will Kiew sonst noch tun, um seine letzten Freunde auf der Krim zu verlieren?«

Die Stromkrise wird auf der Krim langsam zur Normalität. Es ist noch unklar, wann sie gelöst wird - und ob überhaupt. Denn die meisten Experten warnen, die »Energiebrücke« sei ein technisch schwieriges Projekt, das in jeder Phase scheitern könne. Doch eins steht fest: Der Abstand zwischen der Krim und der Ukraine wird durch die Blockade noch größer.

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