Wer ist Schuld am Antragsstau?

Mehr als 355 000 Asylverfahren sind derzeit in der Schwebe

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stapeln sich die unbearbeiteten Anträge. Das räumte die Behörde auf »nd«-Nachfrage ein. Laut Pro Asyl könnten die Verfahren deutlich beschleunigt werden.

Offenbar hat der Wechsel an der Spitze des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bislang nichts gebracht. Mitte September war der damalige Behördenleiter Manfred Schmidt von seinem Amt zurückgetreten. Das Bundesamt stand heftig in der Kritik, weil die Bearbeitung der Asylanträge nicht mit den steigenden Flüchtlingszahlen mithielt. Die Behörde verfügte bis dahin über 2200 Mitarbeiter, bei denen sich rund 250 000 Anträge gestaut hatten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der als politisch Verantwortlicher ebenfalls in der Schusslinie stand, »bat« daraufhin den Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, auch die Leitung des BAMF zu übernehmen. Um die Lage zu entschärfen, sollte die Behörde mehr Mitarbeiter bekommen.

Trotzdem wurde der Antragsstau immer größer. Ende November harrten bereits mehr als 355 000 Anträge einer endgültigen Bearbeitung, wie die ARD am Montag mit Verweis auf das Bundesinnenministerium berichtete. Eine Sprecherin des BAMF bestätigte auf »nd«-Anfrage: »Die Zahl der anhängigen Verfahren zum 30. November lag bei 355 914.« Viele kommen aber gar nicht dazu, einen Antrag zu stellen. In einzelnen Bundesländern können zwischen der Meldung als Asylsuchender und der Antragstellung »Monate vergehen«, so sie Sprecherin. Sie räumte zudem ein, dass es beim BAMF an Personal fehlt. »1100 Asylentscheider und 700 Bürosachbearbeiter im Asylverfahrenssekretariat müssen noch rekrutiert werden.«

Die entsprechende Schulung erfolgt dann in Rekordzeit. Demnach konnte die Qualifizierung für die neuen Entscheider in den Außenstellen »von 10 auf 8 Wochen ohne Qualitätseinbußen reduziert werden«. Die Einarbeitungszeit für eine Entscheidertätigkeit liege »aufgrund der dort eng umrissenen Aufgaben bei 12 Arbeitstagen«. Das heißt, jemand, der möglicherweise nie mit Asylverfahren zu tun hatte, wird innerhalb kürzester Zeit zur Fachkraft gemacht, die über Schicksale zu befinden hat. Bereits 2016 soll die Behörde über 7300 Mitarbeiter verfügen, erklärte die Sprecherin. Wenn das stimmt, dann würde sich die Stellenzahl im Vergleich zum September 2015 mehr als verdreifachen.

Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, hält die BAMF-Verfahren selbst für eine der Hauptursachen des Rückstaus. Gegenüber »nd« sagte Burkhardt, die Dublin-Prüfung durch die Behörde verzögere das Prozedere unnötig. Im Rahmen dieser Prüfung wird untersucht, über welche Wege der Flüchtling nach Deutschland eingereist ist. Eigentlich sollen Geflüchtete dort ihren Antrag stellen, wo sie erstmals EU-Boden betreten haben. So will es die 2013 in Kraft getretene Dublin-III-Verordnung der Europäischen Union. In der Realität werde aber kein Asylbewerber mehr nach Ungarn zurückgeschickt, so Burkhardt. Trotzdem prüfe die Behörde. »Das dauert nach unseren Erkenntnissen zwischen vier und sechs Monate«, kritisiert der der Pro Asyl Geschäftsführer. So verstreicht wertvolle Zeit. Erst nach Abschluss der Dublin-Prüfung wird das eigentliche Verfahren eingeleitet.

Auch hier beobachtet Pro Asyl einen fatalen Trend: »Immer öfter passiert es, dass die Anhörung des Flüchtlings und die spätere Entscheidung über seinen Antrag von verschiedenen Mitarbeitern durchgeführt werden«, erläuterte Burkhardt. Dabei sei das Verfahren doch auch eine Glaubwürdigkeitsprüfung. Zudem würden die im November beschlossenen Schnellverfahren für Asylbewerber aus vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten die Behörde zwar entlasten. Da viele der Abgelehnten aber Widerspruch einlegten, bleibe die Sache bei den Gerichten hängen.

Derweil gerät der Bundesinnenminister wieder unter Druck. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) machte gegenüber der »Welt« vom Montag den Minister als Hauptverantwortlichen für die BAMF-Misere aus. Dieser habe es »es seit Jahren trotz der Klagen aus Ländern und Kommunen nicht geschafft, dafür zu sorgen, dass die Verwaltungsvorschriften umgesetzt und die Asylanträge zügig bearbeitet werden«, so Schulz in der »Welt«.

Auch CSU-Chef Horst Seehofer keilte am Montag gegen de Maizière, allerdings ohne diesen beim Namen zu nennen. Die Schuldigen seien in der Bundesregierung zu suchen. Weder Frank-Jürgen Weise noch seine Mitarbeiter könnten etwas dafür, unterstrich Seehofer.

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