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Lateinamerikas Neue Rechte

Die Linke erhält einen alten Gegner in neuem Gewand

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 3 Min.

Von einer Zeitenwende zu reden, wäre verfrüht. Doch der Sieg von Mauricio Macri bei den Präsidentschaftswahlen in Argentinien und die krachende Niederlage der Chavisten bei den Parlamentswahlen in Venezuela sind deutliche Anzeichen dafür, dass die Hegemonie linker Regierungen in Lateinamerika angeknackst ist. Vorbei die Zeiten, als von Argentinien über Chile, Uruguay bis hin zu Brasilien, Ecuador und Bolivien linke Staatsoberhäupter die Präsidentenpaläste eroberten und sie zum Beispiel 2005 in Mar del Plata gemeinsam den Traum einer gesamtamerikanischen Freihandelszone von George Bush sr. nach 15 Jahren beerdigten - mit Hugo Chávez (Venezuela), Néstor Kirchner (Argentinien) und Lula (Brasilien) als Protagonisten, zu denen sich in den Folgejahren auch noch Evo Morales (Bolivien), Rafael Correa (Ecuador) gesellten so wie Pepe Mujica in Uruguay. Allesamt zeichnete sie ein deutlich linkes Profil mit unterschiedlichen Schattierungen aus.

An Protagonisten mangelt es der Neuen Rechten in Lateinamerika noch: Neben Mauricio Macri passen Henrique Capriles (Venezuela) und Pedro Pablo Kuczynski (Peru) noch am ehesten in das Muster eines smarten rechten Politikers, der subtiler als die alte Rechte im Kern dasselbe Ziel verfolgt: Profitmaximierung für die Unternehmerklasse. Der argentinische Journalist José Natanson hat drei wesentliche Strukturmerkmale der Neuen Rechten benannt: Sie ist demokratisch, setzt nicht mehr auf die militärische Karte. Sie ist post-neoliberal, da sie die Trinitas aus Liberalisierung, Defizitreduzierung und Privatisierung nicht offensiv propagiert. Und sie zeigt ein soziales Antlitz, indem sie im Sinne eines mitfühlenden Konservatismus die sozialen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnten nicht offensiv kritisiert, sondern positiv bewertet.

Die Erfahrung aus Macris Amtszeit als Bürgermeister in Buenos Aires von 2007 bis 2015 spricht nicht für einen knallharten neoliberalen Kurs der Konfrontation, sondern für soviel Neoliberalismus wie möglich und soviel Soziales wie für ein Mindestmaß an gesellschaftlichem Frieden für erforderlich. Macri ist ein gewiefter Taktiker, für den vor allem zählt, dass der Peso und der Dollar rollen - am besten in seine Taschen und die seiner Freunde. Und er ist klug genug, um zu wissen, dass soziale Unruhen keine gute Geschäftsgrundlage sind.

Außerdem konnte er im Nachbarland Chile beobachten, dass einem Höhenflug der Neuen Rechten ein schneller Absturz folgen kann: Nach dem Wahlsieg 2010 des Prototyps der Neuen Rechten, Sebastian Piñera - wie Macri (Boca Juniors) vom Fußballvereinspräsident (Colo-Colo) zum Staatspräsident aufgestiegen - wurde die Rechte nach einer Legislaturperiode schon wieder abgewählt und die Sozialistin Michelle Bachelet kam zurück.

Wie Lateinamerika sich vom Rohstoff-Extraktivismus emanzipieren könnte, der über die Preisentwicklung Auf- und Abschwung der Linksregierungen maßgeblich beeinflusst hat, ist für die Neue Rechte kein Thema.

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