Aufgeputscht in den Krieg

Terror und Drogen

  • Till Bastian
  • Lesedauer: 3 Min.

Captagon - Droge des Krieges«, so titelte die »Süddeutsche Zeitung« zwei Wochen nach den Anschlägen von Paris im November letzten Jahres, bei denen einige Attentäter eben jene Droge Captagon eingenommen haben sollen: Captagon spiele auch im syrischen Bürgerkrieg eine Rolle, hieß es in dem »SZ«-Artikel weiter. »Das Aufputschmittel wird unter anderem im Libanon und in Syrien produziert. Von dort gehen viele Pillen auf den Schwarzmarkt, etwa nach Saudi-Arabien - oder sie wandern an die Kriegsparteien: zum Beispiel die Al-Nusra-Front, den Islamischen Staat, die Freie Syrische Armee«.

Das unter dem Handelsnamen Captagon bekannte Aufputschmittel heißt chemisch Fenetyllin und ist ein sogenanntes Amphetamin-Derivat. Wie alle Amphetamine (die eben dieser Wirkung wegen früher auch »Weckamine« genannt wurden!) verstärkt es die Wirkung des sympathischen Nervensystems, erhöht die Leistungsfähigkeit, mindert Appetit und Schlafbedürfnis. 1961 kam es erstmals auf den deutschen Arzneimittelmarkt und wurde bis 2010 vertrieben - heute ist es nicht mehr frei erhältlich. Beliebt war der Stoff vor allem in den 1970ern und 1980ern - insbesondere als Dopingmittel bei Sportlern.

Ein enger Zusammenhang zwischen Gewalttätigkeit und dem Gebrauch von Aufputschmitteln ist allerdings kein neues Phänomen. 1938 brachten die Berliner Temmler-Werke das von dem japanischen Chemiker Nagayoshi Nagai 1893 erstmals synthetisierte Methamphetamin unter dem Handelsnamen »Pervitin« auf den Markt. In seinem Buch »Der totale Rausch - Drogen im Dritten Reich« (Köln 2015) hat der Publizist Norman Ohler ausführlich geschildert, in welch hohem Maße der Pervitingebrauch an den »Blitzkriegen« des Dritten Reiches beteiligt war. Als Deutschland 1940 Frankreich überfiel, standen viele deutsche Soldaten unter Drogeneinfluss - 35 Millionen Tabletten bezog die Deutsche Wehrmacht zwischen April bis Juni 1940 vom Hersteller Temmler. Erst im nächsten Jahr - und damit vor dem Überfall auf die Sowjetunion - reduzierte sich der weit verbreitete Amphetamin-Gebrauch, denn ab Mitte 1941 war das Medikament durch das geänderte »Reichsopiumgesetz« nur noch auf Rezept erhältlich. Zuvor waren auch mit Pervitin versetzte Pralinen und Schokoladetafeln frei zugänglich und offenbar auch sehr begehrt. Ob Adolf Hitler selbst in den letzten beiden Kriegsjahren pervitinsüchtig gewesen ist - schon 1980 hatten das die US-Psychiater Leonard und Renate Heston behauptet -, ist allerdings noch nicht zweifelsfrei geklärt.

So richtig es ist, auf die zeitweise überaus enge Beziehung zwischen Krieg und Droge hinzuweisen, und so wichtig darüber hinaus mancher Hinweis ist, den Ohler in seinem Text gibt - die Geschichte muss deshalb nicht umgeschrieben werden und der Hype um Ohlers Buch, den der Verlag Kiepenheuer & Witsch geschickt inszeniert hat, ist reichlich übertrieben. Denn was ändert es schon am Charakter der von den Nationalsozialisten verübten Gräueltaten, wenn einige der Täter ihr blutiges Vernichtungswerk unter Drogeneinfluss verübt haben?

Der Autor ist Mediziner und Publizist und Dozent für Literatur an der Europa-Akademie Isny

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