Von alltäglicher Gewalt, die keinen Brennpunkt wert ist

LINKEN-Politiker Hakan Tas zur Situation antirassistischer Arbeit »nach Köln«

  • Hakan Taş
  • Lesedauer: 3 Min.

Tag für Tag, Nacht für Nacht werden in Deutschland Menschen rassistisch beleidigt, durchstreifen selbsternannte Bürgerwehren »ihr« Viertel auf der Jagd nach Geflüchteten, werden Bewohner/innen in Unterkünften mit Brandsätzen, Messern, ja inzwischen auch mit Schusswaffen angegriffen. Die Internetforen quellen über von widerlichen Blogs und Gewaltaufrufen gegen Geflüchtete und auf Demonstrationen und Parteiveranstaltungen wird die völkische Einheit gegen Einwanderer/innen mobil gemacht.

Aber kein »Tagesschau Brennpunkt« und keine Talkshow greift diese alltägliche Gewaltorgie auf, und in den Zeitungen (ja, es stimmt: außer dem ND) findet man kaum noch Meldungen darüber.

Zur Person

Hakan Tas (LINKE) ist Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Er ist partizipations-, flüchtlings- und innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion.

Es ist erschreckend, wieweit der Gewöhnungsprozess an diese Übergriffe vorangeschritten ist. Pirna, Köln, Leverkusen, Gräfenheinichen, Assamstadt, Dreieichen – die Gewalt gegen Geflüchtete ist in Ost und West flächendeckend alltäglich geworden. Der Rechtsstaat, der die Sicherheit aller Bürger/innen gewährleisten soll, scheint kapituliert zu haben vor diesen Banden, die häufig genug als Biedermänner daher kommen. Kaum ein Täter muss mit Strafverfolgung rechnen, Haftbefehle werden nur selten vollstreckt.

Aber »nach Köln« und der Berichterstattung darüber sehen sich Einwanderer/innen, Demokrat/innen und Antifaschist/innen, die diese Schweigepolitik und das Nichtstun staatlicher Institutionen kritisieren, selbst an den Pranger gestellt. Wer von Gewalt gegen Geflüchtete rede, wolle nur von den Gewalttätern von Köln ablenken, heißt es. Die mediale Stimmung wird weiter gekippt, die Rechtspopulisten aller Parteien spüren Rückenwind. Viele Menschen in den Unterstützergruppen aber auch Frauenrechtlerinnen fühlen sich mit dem Rücken an der Wand.

Dazu besteht überhaupt kein Anlass. Wir Linken wissen: Rassismus und Sexismus nähren sich aus den gleichen Quellen. Sie wurzeln in einem System der Ungleichheit und sind Instrumente des Machterhalts. Linke Politik ist ohne die Thematisierung von Rassismus und Sexismus schlechterdings nicht möglich. Rassismus und Sexismus immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen, gehört zum Grundbestand linker Politik.

Darum tun wir gut daran, gerade in diesen Zeiten, in denen das Reden über rassistische Gewalt keine Konjunktur zu haben scheint, unsere antirassistischen Aktivitäten zu verstärken. Die aktuellen Mainstreamdebatten bieten hier vielerlei Anknüpfungspunkte. Ja, wir wollen die Ächtung jeder sexistischen Gewalt – und wir fordern das gleiche für die Verfolgung von rassistischer Gewalt. Ja, wir unterstützen Gesetze, die das Selbstbestimmungsrecht der Frau stärken; und wir fordern Gesetze, die Geflüchteten wirklich Schutz gewährleisten.

Antirassismus und Antisexismus sind zwei Seiten des gleichen Kampfes. Wer über sexistische Gewalt redet, kann über rassistische Gewalt nicht schweigen. Und umgekehrt. Diesen Zusammenhang in Worten und Taten mit Leben zu füllen, ist gerade »nach Köln« Aufgabe, aber auch große Chance linker Politik.

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