Die »Malweiber« stürmten voran

Die Frankfurter Schirn zeigt, welch großen Anteil Künstlerinnen an der Entstehung neuer Kunstformen hatten

  • Herbert Bauch
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Sturm braust 1910 über Berlin. Nicht von einer extremen meteorologischen Konstellation ausgelöst, sondern von Herwarth Walden (eigentlich: Georg Lewin), Schriftsteller und Komponist, der in diesem Jahr seine Zeitschrift »Der Sturm« erstmals auflegt. Sein Anliegen war die Förderung der expressionistischen Kunst, wobei er alle neuen Stilrichtungen unter diesem Begriff subsumiert. Rasch wird der Name »Sturm« zum Signet für einen Aufbruch in die künstlerische Moderne. Die 1912 ebenfalls in Berlin von Walden ins Leben gerufene Sturm-Galerie wirbelt dann endgültig verstaubte Konventionen in der Kunst durcheinander. Sie war eine Kampfansage an Überkommenes, an Gedankenenge und den piefigen Wilhelminismus. In seiner Galerie präsentiert Walden bis 1932 Dutzende Künstler (u.a. Franz Marc, Kandinsky, Paul Klee, Chagall) und Künstlerinnen aus dem In- und Ausland.

Die Kunsthalle Schirn in Frankfurt am Main widmet nun den Malerinnen, Bildhauerinnen und Performerinnen des »Sturms« die beeindruckende Ausstellung »Sturm-Frauen. Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910-1932«. Sie ruft ins Gedächtnis, welch großen Anteil Frauen an der Entstehung und Entwicklung der neuen Kunstformen und -richtungen hatten.

Erstmals werden 18 Sturm-Frauen umfassend vorgestellt, deren Œuvre zugänglich sowie in großen Teilen erforscht und dokumentiert ist. Insgesamt vertrat der Galerist über 30 Künstlerinnen. Ihre Arbeiten wurden in der Sturm-Galerie ausgestellt und/oder in der gleichnamigen Zeitschrift veröffentlicht. Und das zu einer Zeit, in der man Frauen spöttisch als »Malweiber« belächelte und ihnen ein eigenständiges schöpferisches Potenzial absprach. Oder wie eine Karikatur in der Satirezeitschrift »Simplicissimus« ätzte: »Sehen Sie, Fräulein, es gibt zwei Arten von Malerinnen, die einen möchten heiraten und die anderen haben auch kein Talent.« Walden befand sich mit seiner Haltung - das Werk zählt, nicht das Geschlecht - auch im Gegensatz zu den meisten Galeristen seiner Zeit.

Knapp 300 Werke, Gemälde und Arbeiten auf Papier, Grafiken, Holzschnitte, Bühnenbilder, Kostüme, Masken und historische Fotografien repräsentieren Expressionismus, Kubismus, Futurismus, Konstruktivismus und Neue Sachlichkeit. Zu den bekanntesten Künstlerinnen zählen Gabriele Münter, Marianne von Werefkin und die Dichterin Else Lasker-Schüler, Waldens erste Ehefrau, sowie Sonia Delaunay, Alexandra Exter und Natalja Gontscharowa. Mit Marthe Donas, Jacoba van Heemskerck, Hilla von Rebay, Lavinia Schulz und Maria Uhden werden Frauen vorgestellt, die etwas ins Abseits gerieten oder heute kaum noch bekannt sind. Komplettiert wird die Schau von den Künstlerinnen Vjera Biller, Marcelle Cahn, Helene Grünhoff, Sigrid Hjertén, Emmy Klinker, Magda Langenstraße-Uhlig und Nell Walden. Alle sind mit ihren Hauptwerken vertreten und allen widmet Kuratorin Ingrid Pfeiffer einen eigenen Raum.

Auffällig: nur Klinker, Donas, Cahn und Delaunay sind mit Selbstporträts vertreten. Das ist kaum einem mangelnden Selbstbewusstsein der Künstlerinnen geschuldet als vielmehr einer geringeren Eitelkeit, die häufig bei ihren malenden Zeitgenossen anzutreffen ist.

Alexandra Exter ist neben einem »Kubistischen Akt« mit Bühnenbildentwürfen und Marionetten präsent. Ein Ausschnitt aus dem 1924 gedrehten Science-Fiction-Film »Aelita« des russischen Regisseurs Jakow A. Protasanow, für den sie Kulisse und Kostüme entwarf, lässt ihre fantastischen Figuren »lebendig« werden.

So verschieden die Werke der Künstlerinnen, so verschieden ihre Biografien. Die Kroatin Vjera Biller - vertreten mit expressionistisch-naiven Holzschnitten - wird 1940 Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie. Auch das Leben von Lavinia Schulz endet tragisch. 1924 erschießt die Maskentänzerin und Performerin zuerst ihren Ehemann und dann sich selbst. Sie hinterließ ein kleines, äußerst beeindruckendes Œuvre von Ganzkörpermasken und Bewegungsstudien. Wie anders gestaltet sich das Leben Hilla von Rebays. 1917 stellt sie erstmals in der Sturm-Galerie aus, unter anderem »Komposition 1«, eine Ölarbeit in rhythmischen Linien und geschwungenen Formen in einem dominanten Rot. Zehn Jahre später lässt sie sich in den USA nieder, porträtiert den Industriellen Solomon R. Guggenheim, begeistert ihn für gegenstandslose europäische Malerei und wird schließlich erste Direktorin des New Yorker Guggenheim Museums.

Herwarth Walden, KPD-Mitglied seit 1918, schlägt einen anderen Weg ein. 1927 besucht er die Sowjetunion und berichtet enthusiastisch über seine Reise in der Zeitschrift »Sturm«. Im März 1932 erscheint die letzte Nummer der Zeitschrift, danach emigriert er mit seiner Ehefrau Ellen Bork nach Moskau. Er arbeitet als Lehrer und Publizist und interessiert sich lebhaft für die dortige künstlerische Avantgarde. 1941 wird er verhaftet und stirbt wenig später im Gefängnis. Frau und Tochter fliehen in die Deutsche Botschaft und kehren anschließend nach Berlin zurück.

Die Ausstellung »Sturm-Frauen. Künstlerinnen der Avantgarde in Berlin 1910-1932« ist noch bis zum 7.2. in der Kunsthalle Schirn in Frankfurt am Main zu sehen.

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