Grüner Schwenk zum Konservatismus

In der hessischen Koalition mit der CDU hat die Ökopartei frühere Ideale aufgegeben

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.
CDU und Grüne loben ihre Koalition in Hessen zum zweiten Jahrestag in den höchsten Tönen. Aus der Opposition ist hingegen Kritik am Flughafenausbau und an der NSU-Aufklärung zu hören.

Am 18. Januar 2014 war das neue Wiesbadener Landeskabinett aus CDU und Grünen in Amt und Würden gekommen. Es ist das erste Bündnis seiner Art in einem Flächenland. Für die CDU, die seit 1999 im einst »roten Hessen« den Ton angibt, war angesichts des Verlusts der schwarz-gelben Mehrheit und eines rechnerisch möglichen rot-rot-grünen Bündnisses die Koalition mit den Grünen die Rettung vor der drohenden Oppositionsrolle. Für die Grünen lockte nach 15 Jahren die lange angestrebte Rückkehr in die Exekutive.

Der heute 64-jährige CDU-Landes- und Regierungschef Volker Bouffier hatte bis zum Einzug in die Staatskanzlei 2010 über ein Jahrzehnt als Innenminister die Rolle eines »Hardliners« gespielt. Auf der Zielgeraden seiner Karriere präsentiert er sich nun eher als gütiger, geläuterter Landesvater. Er scheint zunehmend von dem Willen getrieben zu sein, die schwarz-grüne Konstellation als machbares und seriöses Modellprojekt für die Bundespolitik nach der Bundestagswahl 2017 vorzuleben. Bislang hatten CDU und Grüne nur im Stadtstaat Hamburg und gemeinsam mit der FDP im Saarland an einem Kabinettstisch gesessen. Die Experimente wurden vorzeitig beendet.

Im hessischen Landesverband der Grünen, in dem Joschka Fischer als erster grüner Landesumweltminister der Republik von 1985 bis 1987 seinen Aufstieg begründete, geben die »Realos« seit Jahrzehnten den Ton an. Mit der CDU regiert die einstige Ökopartei auf kommunaler Ebene seit Jahren in den Großstädten Frankfurt am Main und Darmstadt.

»Auch mit der CDU lässt sich die Welt verbessern«, sagte Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner dieser Tage. Eine »gewisse Sympathie« für Schwarz-Grün im Bund äußerte auch der aus Hessen stammende Generalsekretär der Bundes-CDU, Peter Tauber. »Einiges, was heute Politiker der Grünen zur Integrations- und Einwanderungspolitik sagen, könnte gut und gerne von Innenpolitikern der Union stammen«, lobte er den Koalitionspartner. »Von Multikulti ist da nicht mehr viel die Rede«, so Tauber. Für ihren Schwenk in der Asylpolitik haben Hessens Grüne jedoch einen Preis gezahlt. Die türkischstämmige Abgeordnete Mürvet Öztürk verließ im Herbst 2015 aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik und Verschärfungen des Asylrechts die Grünen-Fraktion und sitzt seither als fraktionslose Abgeordnete im Wiesbadener Landesparlament.

»Einziger erkennbarer Schwerpunkt dieser Koalition ist die mantrahaft vorgetragen Harmonie zwischen den Parteien und ihrem Führungspersonal. Ansonsten bremsen sie sich auf den Feldern Ökologie und Infrastruktur vornehmlich gegenseitig aus«, bemängelte SPD-Landes- und Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel. Die Grünen hätten sich »vom überfälligen Politikwechsel längst verabschiedet«, erklärte Linksfraktionschefin Janine Wissler. »Egal, ob in der Haushalts- oder Bildungspolitik oder bei umstrittenen Verkehrsprojekten wie dem Frankfurter Flughafenausbau: Stets haben sich Schwarze und Grünen auf einen faulen Kompromiss einigen können.«

Oppositionspolitiker kreiden der Koalition zudem an, dass sie sich bei der Einsetzung des NSU-Untersuchungsausschusses der Stimme enthalten haben. Ein bundesweites Unikum, denn in anderen Parlamenten erfolgten die Einsetzungsbeschlüsse einstimmig. Manche argwöhnen, dass das Verhalten der Behörden unter dem damaligen Innenminister Bouffier im Zusammenhang mit der Ermordung des türkischstämmigen Internetcafébetreibers Halit Yozgat 2006 in Kassel unter dem Deckel gehalten werden solle.

Viele Frankfurter Flughafenausbaugegner, die früher zur Klientel der Grünen gehörten und weiterhin im Terminal demonstrieren, können sich nicht damit abfinden, dass der grüne Verkehrsminister Tarek Al-Wazir nun statt eines achtstündigen Nachtflugverbots nur noch symbolische Lärmverschiebungen und einen weiteren Ausbau des Flughafens vorantreibt. Zugleich erweist sich der mit einer dreistelligen Millionensumme ausgebaute Regionalflughafen Kassel-Calden als weitgehend ungenutztes Millionengrab. Der Rhein-Main-Verkehrsverbund gilt bundesweit als einer der teuersten Verbünde. Dass Al-Wazir dieser Tage eine energische Inangriffnahme von seit Jahren geforderten Ausbauprojekten für den Schienenverkehr in der Rhein-Main-Region ankündigte, dürfte vor allem dem auch von Wirtschaftsverbänden befürchteten Verkehrsinfarkt und den Kommunalwahlen am 6. März geschuldet sein.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal