Gestohlenes Land - verlorene Illusionen

Ludwig Fels’ Roman über ein finsteres Kapitel Kolonialgeschichte: »Die Hottentottenwerft«

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

In Deutsch-Südwestafrika, wie die deutsche Kolonie auf dem Gebiet des heutigen Namibia genannt wurde, kam es zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach dem Burenkrieg jahrelang zu gewalttätigen, kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Gier deutscher Farmer nach mehr Land war unersättlich. Aber was kennen wir überhaupt noch von dem Kapitel der Kolonialgeschichte, bei dem sich die Deutschen schließlich auch noch ein Stück vom globalen Kuchen abgeschnitten und gesichert hatten?

Sehr wenig, allenfalls ein paar Begriffe wie Kaffern oder Hottentotten, stets verunglimpfend gebraucht. Und doch hat diese Geschichte zu einem großen Teil das 20. und 21. Jahrhundert bis zu den heutigen Flüchtlingsbewegungen mit geprägt. Der Wiener Schriftsteller Ludwig Fels leuchtet mit seinem Roman in dieses dunkle Geschichtskapitel, alles Folgende indirekt mit bedenkend, aber nicht polemisierend. Der Vorteil des Romans ist die packende Darstellung jenseits aller nüchternen Theorien.

Ludwig Fels schildert das Land, die Menschen, die Ereignisse anschaulich, ergreifend und spannend bis zum Schluss oder, sagen wir es gleich, bis zum bitteren Ende. Er holt ein Stück »unendlicher und verheißungsvoller« afrikanischer Steppenlandschaft nördlich des Oranjeflusses nah heran, eine »Landschaft von sinnloser Schönheit«, wie es einmal heißt. Denn für den Protagonisten des Romans, den deutschen Crispin Mohr, ist die afrikanische Verheißung nur Illusion, wird das erträumte Paradies zur Hölle. »Auf Dünen aus Asche blühten wilde Lilien. Nichts als Stille und Leere ...« Und damit ist das Ende, der Untergang, schon besiegelt.

Aber schauen wir genauer hin! Der traurige Held des Buches, eben jener Crispin Mohr, stammt aus Pappenheim, wo er Stallknecht des Landesherrn gewesen ist. Als in Pappenheim für die Verstärkung der so genannten »Schutztruppen« in Deutsch-Südwest geworben wird, beschließt er, Mutter und Vater, eine unglückliche Liebe und die Armut daheim zu verlassen und in der Ferne sein Glück zu suchen. Nach vier Jahren Militärdienst als Reitersoldat lockt ein Stückchen eigenes Land dort in Afrika, eine Farm, eine Familie, ein kleines Glück.

So klingt die Verheißung. Aber in Hauptmann Sucks Garnison Swakopmund geht es alles andere als paradiesisch zu. Hier herrschen deutsche Ordnung, militärischer Drill und eine äußerst karge Lebensweise für die Rekruten. Im Ort gibt es nur ein paar billige Vergnügungslokale, in denen das bisschen Geld von der Mutter schnell zusammenschmilzt. Zwei Kameraden, Elchlepp und Rubiniak, werden zu Freunden, zwei andere zu erbitterten Feinden. Rubiniak will nach Amerika und wird beim Fluchtversuch getötet. Elchlepp trifft im ersten Scharmützel eine verirrte Kugel.

Aber Mohr hält durch, stur und lakonisch, denn er hat ja seinen Traum, und der nimmt Gestalt an, als er sich in Hulette verliebt, die Enkelin des alten Kaptain Ximenz. Dieser Stammesfürst und Farmer auf der Werft Hopadessa hat die Enkelin als Freundschafts- und Friedenspfand zu Suck geschickt, wo sie Crispin erstmals erblickt. Was der Kaptain nicht ahnte, dort ist sie schutzlos Gewalt und rassistischen Übergriffen ausgeliefert.

Der Scheinfrieden hält nicht lange, Sucks Truppen und mit ihnen Leute des brutalen Farmers Artingkofer, der mehr Land braucht, ziehen gegen Hopadessa und mit ihnen die neue Kanone aus Deutschland, die schnell die ganze Werft zerstört. Mittendrin im Gemetzel sind auch Crispin und Hulette. Aus der Traum! Auf den Dünen von Asche blühen die wilden Lilien, aber keine Träume mehr.

Der Crispin Mohr ist erfunden, aber seine Gestalt hat Hunderte andere konkrete Namen gehabt.

Ludwig Fels: Die Hottentottenwerft. Roman. Verlag Jung und Jung, 391 S., geb., 24,90 €.

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