Kommission soll Kindesmissbrauch aufarbeiten

Forschungen zu Missbrauch in Institutionen und Familien geplant / Dunkelziffer sehr hoch - nur wenige Opfer von Sexualstraftaten erstatten Anzeige

  • Lesedauer: 3 Min.
Viele Opfer sexuellen Missbrauchs zeigen die Taten nicht an: Anzeigen haben statistisch betrachtet wenig Aussicht auf Erfolg, das Prozedere ist für die Opfer äußerst schmerzhaft. Betroffene sollen nun berichten können.

Berlin. Die nationale Kommission zur Aufarbeitung von Kindesmissbrauch nimmt noch im Januar ihre Arbeit auf. Der unabhängige Beauftragte der Regierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, gab am Dienstag die Berufung der sieben Kommissionsmitglieder bekannt. Der Bundestag hatte sich im vergangenen Sommer für die Einrichtung einer solchen Aufarbeitungskommission ausgesprochen.

Die Kommission soll Missbrauch in institutionellen Einrichtungen und auch in der Familie untersuchen. Bundesweit soll Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden, über ihre Erlebnisse zu berichten. Im Mai will die siebenköpfige Kommission ihr Arbeitsprogramm für die kommenden drei Jahre vorstellen. Ein erster Zwischenbericht soll bereits 2017 vorgestellt werden, ein Abschlussbericht bis März 2019.

Nur wenige Opfer zeigen die Taten auch an

Warum eine Kommission sinnvoll sein kann, zeigt eine Studie aus Niedersachsen, die sexuelle Gewalt gegen Frauen untersuchte. Weniger als sechs Prozent aller Opfer von sexueller Gewalt zeigen diese auch an. Scham ist aus Sicht der Bielefelder Sozialpsychologin Sandra Schwark eine der Ursachen dafür, dass viele Opfer von Sexualdelikten die Taten nicht zur Anzeige bringen. »Viele Frauen schämen sich für das, was ihnen passiert ist«, sagte Schwark der in Hannover erscheinenden »Neuen Presse«. Viele dächten zudem, dass die Polizei nichts tun oder ihnen nicht glauben werde. »Das ist leider auch oft der Fall.«

Die am Montag vorgestellte Studie des niedersächsischen Landeskriminalamts hatte ergeben, dass nur wenige Opfer Sexualstraftaten bei der Polizei melden. Rund 1,5 Prozent der Befragten gaben an, im Jahr 2014 Opfer von Sexualdelikten geworden zu sein. Nur rund 5,9 Prozent der Opfer erstatteten Anzeige.

Eine Anzeige habe statistisch gesehen tatsächlich wenig Aussicht auf Erfolg, erläuterte Schwark. Nach Angaben der Organisation »terre des femmes« endeten von hundert Anzeigen nur 13 mit einer Verurteilung des Täters. Viele Frauen entschieden sich auch deshalb gegen eine Anzeige, weil sie während des Verfahrens noch einmal alles im Detail erzählen müssten und im Prozess mit unangenehmen Fragen konfrontiert würden. Schwark ist Doktorandin an der Universität Bielefeld und forscht unter anderem über Sexismus und sexualisierte Gewalt.

Die neu eingerichtete Kommission will Licht ins Dunkel bringen

»Die Kommission kann verborgene Wahrheiten ans Licht befördern, Missbrauchsopfern Genugtuung geben und erlittenes Unrecht anerkennen«, erklärte der Regierungsbeauftragte Rörig. Erst durch die konsequente Aufarbeitung würden »die Systematik hinter diesen abscheulichen Verbrechen« erkannt und »mehr über die Täter, Verharmloser und freiwilligen und unfreiwilligen Unterstützer« bekannt.

Die Kommissionsvorsitzende Andresen hob hervor, im Zentrum der Arbeit stünden die Betroffenen und ihre Erlebnisse in der Kindheit. Die Kommission wolle sichere Räume öffnen, »die das Erzählen über Erfahrungen sexuellen Missbrauchs in der Familie, im Sportverein, in einem Heim oder einem Internat möglich machen«. Diese Berichte bildeten den Kern der Aufarbeitung und trügen dazu bei, »die unterschiedlichen Kontexte und Zeitumstände der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu beleuchten«. Agenturen/nd

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