Slowenische Familien

Martin Leidenfrost suchte die verlorene Mitte Europas und fand zwei verfeindete Lager

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Ich muss konstatieren, dass von Mitteleuropa heute nichts als die Mitteleuropaidee übrig ist. Der Osteuropäer zum Beispiel fühlt sich vom Westen betrogen: Das implizit versprochene Aufholen zum westlichen Lebensstandard ist seit der Finanzkrise gestoppt, der Osten ist einbetoniert in seine Funktion als Werkbank und Absatzmarkt, und jetzt will ihm der Westen auch noch Flüchtlinge und die Homo-Ehe aufnötigen. Letztere ist ein guter Gradmesser für die wachsende Entzweiung: Die Homo-Ehe ist im Westen weitgehend durch, im Osten gibt es sie nirgends; nur Slowenien, Estland, Ungarn, Tschechien und Kroatien haben eine Art von registrierter Partnerschaft.

Mitteleuropa ist heute vielleicht auf einen einzigen Zwergstaat geschrumpft. Ein bisschen Alpen, ein bisschen Meer, ein bisschen Karst - Slowenien. Das Zwei-Millionen-Land streitet wie kein anderes um sein Familienrecht: 2012 stimmten 55 Prozent gegen die Homo-Ehe, Ende 2015 waren bei veränderter Fraugestellung 64 Prozent dagegen. Ich besuche in Ljubljana beide Lager.

Von der Ja-Kampagne »Die Zeit ist reif« wird mir Mitja Blažič, 41, ins Café geschickt. Eingangs bedauert der von der Küste stammende LGBT-Aktivist, dass ich nicht Pole bin, »mein Boyfriend vergöttert Polen«. Das ist sein einziger Witz. Die Niederlage akzeptiert er nicht: »Wenn die Leute für Diskriminierung sind, ist es unsere Pflicht, ihren Willen zu ignorieren. Manche Werte stehen höher.« Im Grunde habe das Ja gewonnen, »wir gewinnen an Terrain, besonders die Mütter von LGBT-Personen waren stark.« Hinter dem Nein sieht er die Macht der katholischen Kirche und einer rechten Oppositionspartei, die »so viele Instrumente hatten, eine Atmosphäre der Angst zu schaffen«, noch dazu in der Weihnachtszeit.

Ich muss einhaken. Der Großteil des Establishments bis hin zur Rentnerpartei warben für das Ja, als früherer Journalist nennt er die Kollegen »üblicherweise sehr progressiv«, und die Stars von zwei ansonsten gnadenlos konkurrierenden Seifenopern drehten für das Ja ein Umarmungsvideo. Gibt es nicht mehr Soap-Seher als Kirchgänger? Er murrt. Das Nein-Lager habe gelogen. Die Kirche habe viel Geld. Am Ende fragt er mich, wen ich vom Nein-Lager treffe. - »Die Co-Chefin von ›Es geht um die Kinder‹.« - »Oh, die spielt die besorgte Großmutter sehr gut.« Er malt sich aus, in ein paar Jahren mit der »überzeugenden Rednerin« auf einen Kaffee zu gehen. »Ich will nämlich wissen, ob die das wirklich glaubt.«

Metka Zevnik, Alter geheim, bestellt mich ins »Institut des Heiligen Stanislaus«. Die Komplimente des Ja-Lagers - »Solche Leute bräuchten wir!« - nimmt die pensionierte Chemikerin aus den Alpen mit honigsüßem Lächeln entgegen. Wir sitzen im Keller des katholischen Instituts, ihr Papier ist mit Linien, Kringeln und fünf Farben bearbeitet. Sie sagt: »Ich glaube das.« Als frühere Spitzenbeamtin im Bildungsministerium zitierte sie blind aus den Gesetzen, und als Gründerin einer Lobby für Großeltern hatte die siebenfache Oma einen funktionierenden Spin: »Zwei Männer können ein Kind adoptieren, aber die eigenen Großeltern nicht?« Ich muss einhaken: »Kommt beides nicht extrem selten vor?« - »Schon ein Fall ist zuviel.« - »War das nicht populistisch, die Kampagne über die Kinder zu spielen?« - »Nein.«

Sie macht eine Schlangenbewegung mit der Hand, LGBT-Aktivisten seien »in die Schulen eingedrungen, manchmal über Themen wie Gesundheit.« Das hat mir auch Blažič erzählt, er lehre Menschenrechte an Schulen, »ich habe ein Zertifikat des Europarats«. Zevnik ist dagegen: »Am Ende würden die Eltern die Freiheit verlieren, ihre Kinder zu erziehen.« Bevor sie mich aus dem Keller hinausführt, betont sie: »Osteuropa ist mehr und mehr dagegen.«

Resümierend sehe ich, dass beide die Nazikeule bemühen: »Hitler kam auch durch Volkswillen an die Macht«, »die Nazis haben auch die Familie attackiert«. Dabei liegen Blažič und Zevnik legislativ eigentlich nah beisammen. Sie rüttelt nicht an der registrierten Partnerschaft, und wenn er sich von »70 Gesetzen nur wegen meiner sexuellen Orientierung diskriminiert« sieht, kommt sie mit einem Gesetzespaket, das »alle ökonomischen Diskriminierungen beseitigen« würde. Was sie entzweit, ist ein einziges Wort: Familie. Ich verlasse genießerisch langsam Slowenien, ein bisschen ein Thermenland und ein bisschen ein Weinland ist das schließlich auch. Und wiege mich in der Illusion, Europa hätte eine Mitte.

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