Vor ihren eigenen Türen

Kritik an der AfD ist richtig und nötig. In der Aufregung um die Schusswaffen-Äußerungen von ganz rechtsaußen dürfen aber Union und SPD nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit ihren provozierenden Schusswaffen-Äußerungen hat die AfD-Spitze viel Kritik hervorgerufen - und das ist auch gut so. Man kann davon ausgehen, dass zumindest die Vorsitzende der Rechtsaußen-Truppe ihre Worte wohl abgewogen und das öffentliche Echo einkalkuliert hat. Anhänger von Petry und ihrer Anti-Asyl-Organisation suhlten sich denn auch in angeblicher Gesetzestreue, verwiesen auf Paragrafen - und vor allem: Sie sahen sich auf einer Ebene der Logik dazu legitimiert, die Schusswaffen-Äußerung zu verteidigen. Hatten nicht auch Union und SPD mehr Abschottung, Obergrenzen, Kontrollen und so weiter gefordert? Und müsste dann nicht …?

Natürlich ist das nicht juristisch, vor allem aber: nicht humanitär vertretbar. Wenn die Politik der verbalen Eskalation dann auch noch Figuren wie die AfD-Bundesvize dazu bringt, öffentlich den Einsatz von Waffen gegen Flüchtlingskinder gutzuheißen, ist ein Maß an Unmenschlichkeit erreicht, gegen das öffentlich und breit Stellung bezogen werden muss. Nur: Wer sagt da was - und was bringt manche nun geäußerte Kritik an der AfD zum Verschwinden?

Aus der CSU heißt es, die Schusswaffen-Äußerungen würden »das gesellschaftliche Klima in Deutschland vergiften« - was tun seit Monaten die Einlassungen der Seehofer-Partei? Aus der CDU hört man, die AfD sei eine Partei, »die das Grundgesetz, die Werte unseres Landes und der Zivilisation verrät« - was tun jene, die Stück um Stück das Asylrecht schleifen, die Gesetze beschließen, aufgrund derer Schutzsuchende auf gefährliche Fluchtrouten weichen müssen? Auf wen zeigt ein Unionsfraktionschef denn in Wahrheit, der sagt, die Rechtsaußen-Partei AfD habe per rhetorischem Schießbefehl »ihre ganze Verachtung für die Menschen, die vor Krieg und Vertreibung bei uns Zuflucht suchen«, gezeigt?

Es geht nicht darum, alles in einen Topf zu werfen. Gerade in Zeiten aufgeheizter politischer Debatten ist Differenzierung nötig, weil es nicht um die Befeuerung von Propaganda-Pingpong gehen darf, sondern um Aufklärung gehen muss. Zu der gehört aber auch die Erkenntnis, dass Union und Teile der SPD eine Politik der Abschottung betreiben, welche die Frage der Ultima Ratio an den deutschen Grenzen dadurch zu umgehen sucht, dass eine (auch militärische) Abwehr von Schutzsuchenden an die EU-Außengrenzen delegiert wird. Oder an die Wetterverhältnisse im Mittelmeer.

Union und SPD gehen zudem seit Monaten einen Weg der Desintegration, auf dem dann schon einmal rechtsstaatliche Grundsätze zumindest verbal abgeräumt werden – schneller abschieben, schneller aussortieren, schneller Leistungen kürzen. Die Welt wird zu einer aus sicheren Herkunftsstaaten gemacht, weil das – egal, wie viel Bürgerkrieg, Verfolgung, Not dort gerade herrscht – zur Verringerung der Flüchtlingszahlen beträgt, die zur obersten politischen Opportunität der Regierungskoalition geworden ist.

Nichts gegen laute und deutliche AfD-Kritik. Aber der Dreckhaufen antihumanistischer Gesetze und Forderungen gegen Flüchtlinge, den Union und SPD vor ihren eigenen Türen wegzukehren hätten, ist unter dem Strich wenn nicht viel größer so doch zumindest politisch wirksamer und damit gefährlicher als der verbale und erbärmliche Mist, der aus der Rechtsaußen-Partei kommt.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal