Messe für Meryl

Internationale Jury

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 2 Min.

Da wurde Lars Eidinger aber auf dem total falschen Fuß erwischt: Der vortreffliche deutsche Kino- und Theaterschauspieler geriet am Donnerstag gehörig ins Stammeln angesichts der Frage, was er denn davon halte, dass »schon wieder« keine Schwarzen in der Berlinale-Jury sitzen würden. Rettung nahte in Person der Jurypräsidentin. Oder besser: Sie schwebte heran - denn zu behaupten, dass Meryl Streep in den Augen des Berlinalepublikums den Hollywood-Heiligenstatus erreicht hätte, wäre noch untertrieben. Und so entpuppte sich die Pressekonferenz der Internationalen Berlinale-Jury als eine regelrechte Messe für Meryl. Bei jener Hollywood-Darstellerin - eine der bedeutendsten ihrer Generation - sorgte man sich gar, ob sie sich gleich in Luft auflösen würde, bei der ätherisch-durchscheinenden und blass-reinen Heilandsanmutung, die sie ausstrahlte.

»Wir sind schließlich alle Afrikaner«, beendete sie die Rassismusdebatte mit sanftem, aber bestimmtem Augenaufschlag und meinte wohl den Ursprung des Menschen ganz allgemein. Für die Frage, was genau diese nicht ganz neue Erkenntnis über die Urzeit für weiß dominierte Jury-Zusammensetzungen der Gegenwart bedeuten könnte, war dann leider keine Zeit mehr.

Ob schwarz oder weiß, Mann oder Frau: Neben Streep wäre am Donnerstag wohl jeder zum Statisten degradiert worden - wie es dann auch dem britischen Filmkritiker Nick James, der französischen Fotografin Brigitte Lacombe, dem britischen Schauspieler Clive Owen, der italienischen Mimin Alba Rohrwacher und der polnischen Regisseurin Małgorzata Szumowska erging.

Der Berliner Lars Eidinger hatte ein Heimspiel und konnte sich deshalb immerhin ein ganz klein wenig emanzipieren - vielleicht merkte Streep darum ausgerechnet zu ihm an, dass sie ihn (als Jurychefin in einer weiblich dominierten Jury) bereits »unter ihrer Fuchtel« habe. »Es ist schön, Boss zu sein«, fügte sie vergnügt an.

Diese Hierarchien wurden natürlich sofort relativiert mit Verweis auf die harmonische Gruppendynamik. Es folgte das alljährlich erneuerte Bekenntnis, dass man nicht hier sei, um Filme »abzuurteilen«.

Das wollte wiederum Lars Eidinger in seiner erfrischenden Direktheit so nicht stehen lassen: »Ich urteile die ganze Zeit. Wenn ich im Kino sitze und manche Schauspieler sehe, dann denke ich auch mal: Oh Mann, ist der schlecht!«

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