Arzneimittelkosten auf Rekordniveau

Deutsche Angestellten Krankenkasse zieht ernüchternde Bilanz der Nutzenprüfung von Medikamenten

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Fast jede zweite neue Arznei hat nach Angaben der Krankenkasse DAK-Gesundheit keinen Zusatznutzen für die Patienten. Trotzdem wird sie genauso oft verordnet wie Mittel mit einem solchen Nutzen.

Seit 2011 gilt ein Gesetz, das dereinst als Kostendämpfer für die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen und als Schritt hin zu einer besseren Qualität der Patientenversorgung gepriesen worden war. Es heißt Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, kurz: AMNOG. Heftig bekämpft von der Pharmaindustrie und von der einen oder anderen strengen Regelung durch ihre erfolgreiche Intervention befreit, ist es jetzt fünf Jahre in Kraft. Der Kern seiner Regelungen sind Prüfungen von neuen Medikamenten auf ihren Zusatznutzen gegenüber herkömmlichen Arzneien. Das ist bisher in 134 Fällen geschehen, wie die DAK, eine der größten gesetzlichen Krankenkassen mit 1,6 Millionen Versicherten, bilanzierte. 60 Mal attestierten die Fachgremien den vorgestellten Wirkstoffen keinen Zusatznutzen. Und als wäre dies allein nicht schon ernüchternd genug, mussten die Experten auch feststellen: Die Verordnungen der Wirkstoffe ohne Zusatznutzen stiegen nahezu genau so stark wie jene mit einem Zusatznutzen gegenüber herkömmlichen Mitteln. Diese Entwicklung spricht nicht für eine Verbesserung der Qualität in der Patientenversorgung und sie sorgt auch nicht für Kostenersparnis.

Einen Grund für diese Entwicklung sieht die Kasse darin, dass die offiziellen Informationen zur Nutzenbewertung nicht bei den ca. 130 000 niedergelassenen Ärzten ankommen. Das gehe aus der Analyse hervor, die von der Kasse in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsökonomen Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld, vorgenommen wurde, und die eine Befragung von 200 Medizinern enthält. Nur etwa die Hälfte von ihnen informiert sich regelmäßig über die Ergebnisse der Nutzenbewertung. Lediglich 12 Prozent nutzen dafür die Unterlagen der Bewertungsgremien. Beachtliche Umsatzentwicklungen seien die Folge dieser Verordnungspraxis, hieß es. »Auch fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes bleibt die Nutzenbewertung für die Verordnungsentwicklung folgenlos. Die erhofften Spareffekte sind begrenzt. Deshalb ist eine Reform notwendig«, sagte DAK-Chef Herbert Rebscher gestern in Berlin. Er hält die extrem hohen Einstiegspreise für neue Medikamente, die vom Hersteller festgelegt werden und ein Jahr lang gelten dürfen, für eine fundamentale Belastung des Gesundheitssystems. Seinen Angaben zufolge gaben die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr weit über 30 Milliarden Euro für Arzneimittel aus. Das ist nach den Ausgaben für die Krankenhausbehandlung der zweitgrößte Posten auf dem Rechnungsblock der Krankenkassen. Mit der Summe sei Rekordniveau erreicht.

Rebscher bewertete die Transparenz in der Nutzenbewertung neuer Arzneien als positiv, forderte jedoch mehr Anstrengungen, um die neuen Erkenntnisse »in die Köpfe der Verordner zu bekommen«. Es sei eine Illusion zu glauben, der Arzt könne im Praxisalltag mal eben in die Dokumentation der Nutzenbewertung für ein bestimmtes Medikament schauen. Dazu seien diese Papiere nicht aufbereitet. Nötig seien darüber hinaus langfristige, systematische Kosten-Nutzen-Analysen, die den Preis einer Arznei und die Kostenersparnis bei der Behandlung gegenüberstellt.

In die Arzneimittelpolitik kommt in diesem Jahr Bewegung, denn es steht eine Weiterentwicklung der Gesetze auf dem Plan der Bundesregierung. Ob es dabei allerdings darum geht, regelhafte Kosten-Nutzen-Analysen auf transparenter Basis einzuführen, wie es die Krankenkassen angesichts ständig steigender Arzneimittelpreise fordern, ist alles andere als sicher. Bisher war es den Herstellern mehrfach gelungen, sich erfolgreich gegen für sie unbequeme Regelungen aus dem AMNOG zur Wehr zu setzen - so verhinderten sie beispielsweise die Nutzenprüfung älterer Medikamente. Angesichts von ca. 80 000 Mitteln, die auf dem Markt sind, wird dies von vielen Gesundheitsökonomen durchaus als sinnvoll angesehen. Dass die Bundesregierung über die Arzneimittelpolitik derzeit jedoch ausschließlich mit den Herstellern in einem »Pharma-Dialog« hinter verschlossenen Türen spricht, hält DAK-Chef Rebscher für ein »extrem unglückliches Verfahren«.

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