Treibstoff für Europas Rechte

Von wegen »fairer Kompromiss«: Tom Strohschneider über den EU-Deal mit Großbritannien, der Erpressung legitimiert und Nationalismus stärkt

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist in Fragen der Europäischen Union zuletzt oft mit großen Worten operiert worden: Ja, die EU steckt nicht erst seit gestern in einer großen Krise. Ja, eine historische Herausforderung ist auch schon die von Berlin aus orchestrierte Krisenpolitik gewesen. Ja, das Ende der europäischen Solidarität kann nur glaubwürdig beklagen, wer sie vorher auch entdeckt hat zwischen all den ökonomischen Ungleichgewichten und auf die Interessen der Wirtschaft ausgerichteten Verträgen.

Aber was Angela Merkel jetzt als »fairen Kompromiss« mit der konservativen Regierung in Großbritannien verteidigt, ist durchaus wieder ein Wendepunkt - einer in die völlig falsche Richtung. Er stärkt nationale Egoismen, legitimiert Erpressung als politisches Mittel und zementiert eine EU der Fliehkräfte und unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

Es ging viel um Symbolik auf diesem Gipfel, David Cameron machte sein Theater vor allem für die EU-skeptischen Wähler daheim. Mit den Zugeständnissen an ihn ist eine gefährliche Botschaft verbunden: Man muss nur laut genug von rechts gegen die Idee einer tieferen Integration, gegen mehr soziale Rechte, gegen mehr Europa Front machen, dann kommt man damit durch.

Das werden vor allem die Rechten in der EU verstehen - und entsprechend handeln. In Ungarn und Polen werden sich die Regierungen auf London berufen, wenn sie einmal wieder an der Anti-EU-Schraube drehen. In Frankreich wird sich der Front National, in Deutschland die Rechtsaußen-Truppe AfD freuen. Kanzlerin Merkel hat schon gleich die Reduzierung des Kindergeldes für Migranten, deren Nachwuchs weiter im Ausland lebt, als auch für die Bundesrepublik gute Idee bezeichnet - bevor die AfD es fordern muss.

Die in vielen Ländern stark gewordenen Rechtspopulisten werden sich also ermuntert fühlen - und so weitere Regierungen unter Druck nehmen. Mag sein, dass nicht jedes Land so leicht auf einem Sonderweg in der EU fahren darf - die ökonomische Rolle Großbritanniens ist nicht frei übertragbar. Aber sie werden es versuchen; mit Vorstößen gegen Asylrecht, Freizügigkeit und mögliche EU-Reformen nach links.

Hierin liegt der entscheidende Punkt: In einer Zeit sich beschleunigender Rückwärtsbewegung Richtung Nationalismus haben diejenigen, die sich gern als die Anführer der EU gerieren, keine Idee mehr für ein Europa der Zukunft. Was eigentlich gibt Großbritannien für diesen Deal? Jeder bekommt, was er aus egoistischen Motiven heraus verlangt - Hauptsache, der Laden wird irgendwie zusammengehalten. Wozu? Für die Interessen einiger weniger, denen es nur um die Sicherung der marktförmigen »Vorteile« geht - denen aber die Freizügigkeit einfacher Leute nichts zählt und die keine bessere Idee für ein solidarisches Europa haben.

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