Elegie und Abgrund

Im Kino: »Francofonia« - Alexander Sokurows Hymne an die Kunst

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Museen sind wie Schiffe auf dem Meer. Das Meer ist die Zeit. Von Wellenschlag zu Wellenschlag tragen sie eine gefährdete wertvolle Fracht - und wenn der Kapitän schlecht steuert, landet sie für immer verloren auf dem Meeresgrund. Wem das eine zu hochgestochene Metaphorik ist, der sei vor Sokurows »Francofonia« gewarnt. Denn dieser Film, der sich jeder eindeutigen Genrezuordnung entzieht, ist vor allem eins: eine Hymne auf die Kunst, auf den hohen Ton inmitten der herrschenden Niedrigkeiten.

Sokurow polarisiert mit all seinen Filmen, die halb Meditationen sind und halb Collagen. Sein »Faust« bekam 2013 in Venedig den Goldenen Löwen, mancher Kritiker klagte darüber, dieses Opus sei eine allzu freie Variation auf Goethes Vorlage. Es war tatsächlich ein Übersetzungsversuch ins Russische - und siehe, dort funktioniert alles etwas anders. Leser von Bulgakows »Der Meister und Margarita« wissen das. Doch die Frage nach der Stellung des Künstlers zur Macht etwa bleibt, ebenso wie die Werke, die oft genug widrigen äußeren Umständen abgetrotzt sind.

Immer wieder hat sich Sokurow auch mit dem Pendant der »russischen Seele« befasst, der »deutschen Seele«. Gäbe es nicht Hitler, er würde sie lieben. Aber so bleibt es eine unglückliche Liebe. Denn der 1951 im russischen Podorvikha geborene Sokurow blickt auf die Kunst immer aus dem Blickwinkel des Krieges, der sein Land verwüstete und Millionen Menschen tötete. Davon zeugt nun auch »Francofonia«. Denn so wie die Schätze der Eremitage in Verstecken den Krieg überdauerten, so war auch der Louvre, das Museums-Gedächtnis der Franzosen, leergeräumt, als 1940 die deutsche Wehrmacht Paris besetzte. Immer gibt es Menschen, die dafür leben, dass das Wertvollste, was eine Zeit hervorbringt, überdauert. Über die Porträts im Louvre sagt Sokurow: »Wer wäre ich wohl, hätte ich nie ein Auge derer gesehen, die vor uns lebten.« Gleiches gilt auch für die Eremitage.

Solch Hymnus auf die Museen hat etwas Verblüffendes. Denn es war André Breton gewesen, der vom - befreienden - Einbruch in ein Museum sprach, der Neues erst möglich mache. Aber wohin soll die Reise gehen, ohne Gedächtnis und Sinn für identitätsstiftende Traditionen? Mussolinis Faschismus trat mit Losung an, aus dem »Museum Italien« einen modernen Industriestaat zu machen. Fast wäre das Zerstörungswerk gelungen.

So langsam, fast betulich Sokurow sich seinem Thema nähert, so aufstörend ist das, was wir schließlich in seinem Bild-Essay sehen. Es beginnt im Black des Computers. Aufreibende Kommunikation im Netz. Dann endlich wacklige Bilder zu einem Schiff in schwerer See. Schnitt, wir sind nun im Paris des Jahres 1940, Dokumentarszenen vom Einmarsch der Deutschen, Hitler vor dem Eiffelturm. Paris, die Stadt, in der unter der Besatzung ein trügerischer Friede herrschte, an dem echt war, dass die Stadt nie bombardiert oder ausgeplündert wurde. Die Bilder von Kameramann Bruno Delbonnel bekommen einen unbedingten Zug ins Artifizielle, wirken wie gemalt. Paris im Abendlicht und Flugzeuge mit Hakenkreuzen über der Stadt. Das Schöne ist immer gefährdet.

Blende, wir sind auf der Spielfilmebene, die aber dokumentarisch verbürgt ist. Der Direktor des Louvre, Jacques Jaujard, bekommt Besuch vom deutschen Offizier Graf Wolff-Metternich, der für den »Kunstschutz« in Paris zuständig ist, was soviel heißt wie: Er soll Kunst für die Nazis rauben. Aber der Louvre ist so gut wie leer, seine Schätze sind auf abgelegenen Landschlössern eingelagert. Schnell erkennen sich da zwei als Liebhaber der Kunst. Metternich will nichts rauben, sondern bewahren und wird - weil er zu keinen Ergebnissen kommt (kommen will) - bald wieder aus Paris abgezogen. Und Jaujard kann es schätzen, einem Deutschen zu begegnen, der die französische Kunst und Kultur liebt. Das wird von Louis-Do De Lenquesuesaing als Jacques Jaujard und Benjamin Utzerath als Graf Franziskus Wolff-Metternich auf eine wunderbar zurückhaltende Weise gespielt, die umso eindringlicher wirkt, da das distanziert-förmliche Moment (Kultur!) zwischen ihnen nie aufgekündigt wird.

Sokurow jedoch will keineswegs eine Art animiertes Dokumentarspiel aufführen, ihm geht es immer um das Thema Kunst und ihre Passionen. Immer wieder sehen wir verstörende Fotos von Toten: Tolstoi und Tschechow auf dem Totenbett. Sie schlafen fern von uns, niemand kann sie aufwecken, doch ihr Werke leben. Ist das eine billige Metaphorik? Nicht so, wie Sokurow sie in diesem Wirkungsräume auslotenden Filmessay ins Szene setzt. Der Film folge den »Wendungen eines sich stetig verändernden gedanklichen Prozesses«.

Was kann Kunst? Im besten Falle Feindschaften abbauen, eine Verbindung jenseits politischer Gegensätze schaffen. Es gab immer jene Diener eines Auftrags, den sie sich nur selbst geben konnten: Hermann Hesse etwa wollte sich im Ersten Weltkrieg nicht gemein machen mit den herrschenden Tönen von Kriegshetze - »Nicht diese Töne!« schrieb er, der sich eben noch kriegsfreiwillig gemeldet hatte. Auch wenn die Armeen gegeneinander kämpften, der europäische Geist dürfe nicht vergiftet werden, denn wie soll man sonst nach dem Krieg wieder zusammenleben? Daraufhin wurde er von deutschen Kriegspresse als unpatriotischer Nestbeschmutzer, als Volksverräter gar beschimpft - doch Romain Rolland verstand und liebte ihn.

Nein, auf Anerkennung in hysterischen Zeiten darf nicht hoffen, wer eine Gegensätze verbindende Vernunft nicht denunzieren will - das bekamen dann auch Jaujard und Wolff-Metternich zu spüren. Der Franzose sagte für den Deutschen nach dem Krieg im Entnazifizierungsprozess aus, wurde von General de Gaulle ins Kulturministerium geholt, doch 1967 als Kollaborateur des Vichy-Regimes in Unehren entlassen. Kurz darauf nahm er sich das Leben.

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