Gewagte Weltreisen in der Sattelzeit

Notizen von einer Tagung an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Von Harald Loch

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 2 Min.

Um 1800 begaben sich einige Deutsche zu Forschungszwecken auf Weltreisen: Johann Reinhold Forster und sein Sohn Georg, Alexander von Humboldt und Adelbert von Chamisso. Ihre Aufzeichnungen haben die Kenntnis von der Welt tiefgreifend verändert. Das, was die Forschungsreisenden während und nach ihrer Grand-Tour aufgeschrieben und damit an uns weitergegeben haben, lässt sich als eigene Literaturgattung verstehen und erlebt gegenwärtig eine Renaissance, wie die 3. Internationale Chamissokonferenz bezeugte.

Forster, Humboldt und Chamisso waren in Anerkennung ihrer Forschungsveröffentlichungen zu Mitgliedern der Preußischen Akademie der Wissenschaften gewählt worden. Deren Nachfolgerin, die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW), hat in 20 Bänden die Werke von Forster herausgegeben. Fleißig war auch deren Alexander-von-Humboldt Forschungsstelle.

Dank den drei genannten Weltreisenden, konnte, wie der Romanist Ottmar Ette auf der Konferenz ausführte, Immanuel Kant seine Theorien entwickeln, ohne je einen Fuß außerhalb seiner Stadt Königsberg gesetzt zu haben. Die Forschungsreisenden entwickelten indes ihre Erkenntnisse nicht aus einem philosophischen a priori, sondern aus Beobachtungen »im Feld« und aus Vergleichen. Sie durchmaßen dabei das ganze Feld zwischen anthropologischer Philosophie und dem »Beinchenzählen« im wörtlichen Sinne.

Als besonderer Glücksfall wurde der Erwerb der »Amerikanischen Reisetagebücher« von Alexander von Humboldt durch die Berliner Staatsbibliothek 2013 gefeiert. Sie werden derzeit in deren Handschriftenabteilung konservatorisch bearbeitet und digitalisiert, wie Jutta Weber, die stellvertretende Leiterin der Handschriftenabteilung und Vorsitzende der Chamisso-Gesellschaft, informierte.

Chamisso, Sohn adliger Franzosen, vor der Revolution nach Berlin geflohen, schrieb hernach überwiegend auf Deutsch. Forster, der mit seinem Vater an der zweiten, dreijährigen Weltumsegelung des Engländers James Cook teilgenommen hatte, worüber er in Englisch berichtete, war hingegen ein glühender Anhänger der Französischen Revolution. Humboldt verfasste große Teile seiner Tagebücher in französischer Sprache.

Die drei Forschungsreisenden waren nirgendwo richtig zu Hause. »Die Fremde aus der Sicht des Emigranten« lautete denn auch der Titel des Vortrags von René Marc Pille aus Paris, der sich bei seinen Kollegen zum Abschluss der Konferenz mit »bis bald« verabschiedete. In der Tat, die Erforschung der Literatur der Forschungsreisenden aus der »Sattelzeit« - ein Begriff des Historikers Reinhart Koselleck - ist noch längst nicht abgeschlossen.

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