Ein von drei Frauen in die Enge getriebener Mann

Bühnenfassung von Isaac Singers «Feinde - Die Geschichte einer Liebe» im Berliner Gorki-Theater

  • Voker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Holocaust und die Nazibesetzung Polens verbindet die Figuren von Isaac Singers Roman «Feinde – Die Geschichte einer Liebe». Die Regisseurin Yael Ronen inszeniert den Stoff als das aktionsreiche Aufeinanderprallen von Figuren.

Situation« ist der Titel einer szenischen Recherche, die Regisseurin Yael Ronen mit Ensemblemitgliedern des Gorki-Theaters erarbeitet hat und die zum diesjährigen Theatertreffen in Berlin gezeigt werden wird. Gegenstand ist die politische Situation im Nahen Osten. Betroffene aus Israel und Palästina erzählen von ihren persönlichen Erlebnissen. Für sie sind die dort stattfindenden tragischen Verwicklungen unter dem Titel »Situation« zusammengefasst.

Eine »Situation« verbindet auch die Figuren von Isaac Singers Roman »Feinde - Die Geschichte einer Liebe«: der Holocaust und die Nazibesetzung Polens. Hauptheld Herman Broder hat einst philosophische Studien betrieben und ist nach dem Krieg nach New York ausgewandert, wo er als Ghostwriter eines reichen Rabbi sein kärgliches Geld verdient. Mitgenommen hat er die einstige Dienstmagd Jadwiga, die ihn damals als Juden auf dem Heuboden vor dem Zugriff der Nazis versteckt und die er aus Dankbarkeit geheiratet hat. Sexuell verfallen aber ist er der ebenso glamourösen wie hysterischen Mascha, die von ihm die Heirat und die Trennung von Jadwiga erzwingen will. Zur Verschärfung seiner ohnehin ungemütlichen Situation erscheint auch noch seine Ehefrau Tamara, von der Herman aufgrund einer Zeugenaussage annehmen musste, dass sie im KZ ermordet worden ist.

Was sich wie der Plot eines Boulevardstückes anhört, ist voller menschlicher Abgründe und wird zum tragischen Überlebenskampf. Am Ende profiliert sich Tamara als Hermans schwesterliche »Managerin« und kümmert sich um die hilflose Jadwiga sowie deren von Herman gezeugtes Kind, während sich die unglückliche Mascha das Leben nimmt und Herman lautlos von der Bildfläche verschwindet.

Yael Ronen hat in ihrer Bühnenfassung die 230 Romanseiten auf eine Spieldauer von knapp zwei Stunden gebracht und aus dem umfangreichen Figurenensemble sechs Personen herausgelöst, wobei die Darstellerin von Maschas Mutter (Renate Reinecke) auch noch deren ehemaligen Ehemann spielt und der Darsteller des Rabbi Lampert mit dem Gesang von ebenso klagenden wie sehnsüchtigen jiddischen Liedern das Geschehen kommentiert und steigert. Gestrichen ist auch die Szene im Zoo, in deren Verlauf das Bild vom hoffnungslos ermüdeten Löwen von Mascha auf die Tatenlosigkeit des Helden bezogen wird.

An die Stelle von dumpf lastenden Erinnerungen und gedankentiefen Reflektionen hat die Regisseurin das aktionsreiche Aufeinanderprallen der Figuren, ihr sexuelles Begehren und ihre schroffen Zurückweisungen in Szene gesetzt. Die erste Szene deutet die Richtung an. Aus einer Bodenklappe hebt Herman seine Ehefrau Jadwiga nach oben; die euphorische körperliche Umarmung endet im Schrei, dem die lastende Stille folgt. Ausgelebte Sexualität als brutaler Kampf und darunter immer wieder die Vorahnung des Scheiterns. Sehnsucht nach körperlicher Liebe ist der Antrieb der Figuren, ihre Erfüllung gipfelt im ekstatischen Höhepunkt. Mascha geht buchstäblich die Wände hoch und wenn es Herman mit der Ehefrau treibt, winden sich auch die beiden anderen Frauen in wollüstigen Zuckungen. Die Frauen umringen, Racheweibern gleich, fordernd den Helden und treiben ihn bedrohlich in die Enge.

Ronen erzählt die Geschichte vom Mann zwischen den drei Frauen mit der ihr eigenen expressiven Bildsprache. Auf mannshohem Podest fährt die angebetete Mascha davon und der abgewiesene Liebhaber versucht mit durchschlagender Erfolglosigkeit, die Podesthöhe zu erklimmen, um sich dann, vom Telefonanruf überrascht, unter einem schmalen Tisch zu verkriechen. Schauspielerisch gewinnen die drei Darstellerinnen der Frauen in unterschiedlichem Maße Profil. Orit Nahmias bleibt als Jadwiga fast durchgängig die geistig limitierte Mütterliche, Lea Draeger erschöpft sich als Mascha in hysterischen Tönen und Körperhaltungen. In Erinnerung bleiben wird allerdings ihre fast wortlose, mit Blicken und Andeutungen erzwungene Verführung Hermans. Am nuancenreichsten in ihren schauspielerischen Mitteln ist Cigdem Teke als Tamara. Mit verstörender Sachlichkeit, unter der das Grauen lauert, erzählt sie vom Schicksal ihrer Kinder, mit bitterer Ironie scherzt sie über die Kugel in ihrem Körper und staunend erkennt sie, welche sexuelle Anziehungskraft für sie noch immer ihr Ehemann hat. Singers Beschreibung ihres Begreifens der »widersprüchlichen und komplizierten Forderungen des Körpers« scheint da auf.

Das Problem des Abends aber ist die szenische Aneignung der Figur des Herman. Schon im Roman bezeichnet ihn Singer als einen »Fatalisten«, der aus »Unfähigkeit, seinem Leben ein Ende zu machen«, jeden Gedanken der Hoffnung aus seinem Bewusstsein streicht. Hoffnungslosigkeit und Angst aber taugen nur bedingt als Antrieb von aktivem schauspielerischen Handeln - sicherlich ein Grund dafür, dass sich bisher keine anderen Bühnen dem Roman genähert haben.

Aleksandar Radenkovic spielt den Herman dann auch als kleinlauten Sünder, als ein gehetztes Opfer, das ständig im Rechtfertigungsmodus agiert. So fehlt der Aufführung der innere Motor und Beschleuniger, wodurch sich das szenische Gleichgewicht bedenklich auf die Seite der betrogenen Frauen neigt, was die unbestrittene Dichte und Eindringlichkeit der Inszenierung mitunter beeinträchtigt.

Nächste Termine: 15. und 19. März

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