Die Angst verstecken ins Indigo

Die in Japan geborene europäische Künstlerin Leiko Ikemura im Haus am Waldsee

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Man kann angesichts der bizarren Berge, der Kraterseen und Wasseraugen, der opulenten Vegetation, die sich aus Nebeln speist, gar nicht umhin, sich in fernöstlich anmutenden Landschaften zu wähnen. Auch wenn die gebürtige Japanerin Leiko Ikemura die Natur als imaginäre, mythische Orte, als verwobene Seelenlandschaften verstanden wissen will. Sie eröffnet große Räume, die aus transparenten abstrakten Farbschichten - ocker, oliv, blau - erwachsen. Manchmal verdämmert die Landschaft als zarte Dämonin. Ein andermal spicken den unteren Bildgrund Schädel weiblicher Urgeister, die als erdige Schöpferinnen gleich auch die Komposition tragen.

Leiko Ikemura balanciert als Kulturwandlerin in ost-westlichen Bild- und Ideenwelten. 1951 wurde sie im Fischerdorf Tsu Mie geboren, sie studierte spanische Literaturgeschichte in Osaka, ehe sie vor über 40 Jahren ihre Heimat verließ, um in Europa als Künstlerin tätig zu sein und schließlich auf eine preisgekrönte Karriere zurückschauen zu können. Sie studierte im spanischen Sevilla Malerei, lebte in Zürich. Sie pendelte jahrzehntelang zwischen Köln und Berlin, wo sie bis zu ihrer Emeritierung 2015 eine Professur an der Universität der Künste innehatte. 2014 folgte sie einer Berufung an die Joshibi University of Art and Design in Kanagawa zurück in das Land, aus dem sie als 20-Jährige aufgebrochen war.

«... und plötzlich dreht der Wind», heißt die Einzelschau im Haus am Waldsee, die sich einfügt in einen Ausstellungsreigen von Brandenburg bis Köln. Auch das Haus am Waldsee thematisierte 2015 mit «Utagawa Hiroshige. Prelude» schon den Traditionsbezug der Künstlerin zu einem der großen Holzschnitzer der japanischen Kultur aus dem 18./19. Jahrhundert. Die aktuelle Personalausstellung widmet sich einem breiteren Schaffen und zeigt neben den raumgreifenden Malereien, die effektvoll in den farbig grundierten Villenräumen mit Seeblick inszeniert sind, Bronzefiguren, Fotografien, Aquarelle und Zeichnungen, die seit 2006 als Reaktion auf den Tod der Mutter 2008 und auf die Katastrophe von Fukushima entstanden sind. Die Künstlerin liebt die Materialität, die sie sorgsam erkundet, um deren eigene Sinnlichkeit optimal zu entfalten. Mineralfarben, Tuschen und Öl arbeitete sie in die Leinwand und in derbere Jutegründe hinein. Bronzen werden mit farbiger Patina überzogen.

Ein universelles Weh spricht etwa aus den in Mexiko entstandenen Kohlezeichnungen, deren augenlose Gesichter dennoch keine Masken sind. Und wie aus den Urwassern der Geschichte schon zum hundertsten Mal angespült, ausgespült, ausgelöscht, aber in mythischer Weise unversehrt, liegt die große weiße Mädchenkörperhülle, eine Bronzefigur, in der Mitte eines der Ausstellungsräume. Schaurig. Unantastbar. Fremd. Archetypisch vertraut. Und nicht nur, weil es zwei Kunstleistungen im gleichen Monat sind, die anschaubar waren bzw. sind, sondern weil diese eine Welt mit einem verwandtem Blick wahrgenommen wird, muss hier das Statement von Gianfranco Rosi anlässlich seines goldenen Berlinale-Bärs, den er für den Dokumentarfilm «Fuocammare» in Empfang nehmen konnte, erwähnt werden: Woher, so fragte er, rührt das Herzenswesen der Menschen von Lampedusa? Und die Antwort: «Es sind Fischer. Und Fischer akzeptieren immer alles, was über das Meer kommt.»

Leiko Ikemura legt Wert darauf, als westliche Künstlerin wahrgenommen zu werden, dies nicht weil oder obwohl die japanischen Wurzeln so offenkundig sind, sondern um ihre ästhetische Methode deutlich zu machen. Diese ähnelt einem immerwährenden fernöstlich-westlichen Gespräch über Herkunft und Dasein. Es gibt keinen Halt und kein Versprechen, sondern dieses sich Anheimschicken in den ewigen Kreislauf, der Schmerz und Melancholie, Schönheit und Vergehen produziert. Das Politische sei als Schwingung vorhanden. Aber selbst da, wo ihre Bilder nur farbflirren, ist dem Horizont Bedeutung zugemessen. Schwarz über orange.

Die zierliche Frau steht im blauen Kostüm mit akkuratem Haarschnitt und klaren Gesten vor einer ihrer fließenden Landschaften, die sie vor Goldgrund gehängt sehen wollte, und erzählt von persönlichen Wandlungen, davon, dass sie nach Jahrzehnten des Aufbegehrens nun auch ihre Wurzeln zulässt und neue Anknüpfungen sucht. Dazu gehören nicht nur die Mädchen-Rittergestalten mit Schwert auf transparentem Japanpapier, sondern auch ein ganzer Raum angefüllt mit dem Gewisper von japanischen Kurzgedichten, Haiku, genannt.

Man liest in Twitterzeichenmenge: «Frag nicht mein Alter. Ich bin Tausendjährig.» Oder: «Das Meer, das die Inseln verbindet ist eines Tages/ wütend geworden/ dass es endlich alles satt habe» und dann noch, vielleicht als Selbstanweisung zu lesen: Verstecke deine Leidenschaft in den Felsen /Verstecke deine Angst ins Indigo«.

Leiko Ikemura - Und plötzlich dreht der Wind. Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Zehlendorf, Di-So 11-18 Uhr, bis 17.4., www.hausamwaldsee.de

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