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Im Dienste der Satire

Böhmermanns Schmähgedicht gegen Erdogan

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.
Vielleicht ist der TV-Moderator Jan Böhmermann ein ganz dummer Mensch, der einen Witz nicht von einer Zote unterscheiden kann - die Wahrscheinlichkeit, dass diese Vermutung stimmt, tendiert allerdings gen Null.

Vielleicht ist der TV-Moderator Jan Böhmermann ein ganz dummer Mensch, der einen Witz nicht von einer Zote unterscheiden kann, der gerne andere durch den Kakao zieht, sie beleidigt, demütigt und das dann Satire nennt. Dann würde stimmen, was manche die vergangenen Tage über ihn geschrieben haben: Er wäre in der Tat der »Depp«, der sich um die Grenze zwischen Satire und persönlicher Beleidigung nicht schert.

Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Vermutung stimmt, tendiert allerdings gen Null. Zur Erinnerung: Jan Böhmermann hatte vergangenen Freitag in seiner Late-Night-Show »Neo Magazin Royale« im Experimentiersender des Zweiten Deutschen Fernsehens, ZDFneo, eine als Schmähgedicht angekündigte Beleidigungsorgie gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vorgetragen. Das »Gedicht« enthielt Begriffe, die die Person Erdogan mit Tieren verglichen und ihm diverse Sexualpraktiken und -Neigungen unterstellten, die man spontan als »pervers« bezeichnen würde. Böhmermann kommentierte damit die äußerst gereizte Reaktion Erdogans und der türkischen Regierung auf eine Satire der NDR-Sendung »extra 3«. Das Magazin hatte Mitte März in dem Lied »Erdowie, Erdowo, Erdogan« u.a. die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei, den Asylpakt zwischen der Türkei und der Europäischen Union sowie das militärische Vorgehen der Türkei gegen die Kurden kritisiert. Daraufhin wurde der deutsche Botschafter in der Türkei, Martin Erdmann, in das Außenministerium in Ankara einbestellt. In einem längeren Gespräch musste sich der Diplomat für den Satire-Beitrag rechtfertigen. Da weder die türkische noch die deutsche Regierung den Vorgang an die große Glocke hängten, dauerte es mehr als eine Woche, bis der Vorgang an die Öffentlichkeit gelangte. Erst nachdem der deutsche Botschafter kurz nach Ostern erneut ins türkische Außenministerium bestellt wurde und die Opposition im Bundestag das öffentliche Schweigen der Bundesregierung kritisierte, wurde auch in den hiesigen Medien berichtet.

Während in den ersten Tagen allerdings noch der »extra 3«-Beitrag im Mittelpunkt stand, ist es seit dem Wochenende das Erdogan-Gedicht von Jan Böhmermann. Den ersten Fehler, den man in dieser Angelegenheit machen konnte, war der, die Schmähung Erdogans als Satire zu bezeichnen. Jan Böhmermann und sein Partner Ralf Kabelka haben während des Vortrags in der Sendung wiederholt darauf hingewiesen, dass Schmähungen laut Rechtsprechung in Deutschland nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen; sie haben am Ende von Böhmermanns Vortrag Erdogan sogar noch den Tipp gegeben, wie er gegen solche Schmähungen vorgehen kann - nämlich anwaltlich und mit der Aufforderung, die Aufzeichnung des Gedichts aus der ZDF-Mediathek zu nehmen. Dass Böhmermann die Beschimpfung Erdogans wirklich ernst meinte, ist also so unwahrscheinlich wie die Annahme, dass es sich bei Recep Tayyip Erdogan um einen lupenreinen Demokraten handelt.

Den zweiten Fehler, den man machen konnte, war der, dem ZDF Zensur vorzuwerfen. Dass der Sender sofort reagierte und sowohl das Gedicht aus der Mediathek löschte als auch bei der Wiederholung der Sendung von Samstag- auf Sonntagnacht im Hauptprogramm die entsprechende Sequenz strich, ist genau das, was Böhmermann und Kabelka bezwecken wollten - nämlich aufzuzeigen, wie lächerlich kleinkariert die Reaktion Erdogans auf die Satire von »extra 3« war.

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