Letzte Geste

Zum Tod des Pantomimen Burkhart Seidemann

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 2 Min.

Er war ein wunderbarer Zuhörer. Und richtete man eine Frage an ihn, ließ er sich gern etwas Zeit. Oft lächelte er dann, weil er die Antwort mit einer Metapher schmückte, den Ausspruch eines Dichters nutzte, manchmal auch einen Spruch aus der Bibel zitierte. Was bleibt, ist die freundliche, herzliche Erinnerung an ihn. Ja, und seine Stimme auf dem Anrufbeantworter des Vereins »Philomimus«, mit dem er Klezmerfeste im »CEDIO POINT« am Storkower Bogen in Lichtenberg bis zuletzt mit namhaften Künstlern wie Karsten Troyke organisierte.

Burkhart Seidemann ist tot. Wie Künstlerkollegen bestätigten, starb er am Mittwoch an Lungenkrebs. Noch tags zuvor hatte er seinen langjährigen Lebenspartner Peter Waschinsky geheiratet. Seidemann wusste, dass ihm keine Zeit mehr blieb. In seinem Umfeld war bekannt, wie krank er war.

Es war immer schön, diesen klugen Mann zu treffen. Ihn begleiteten ein freundliches Wesen, leiser Humor und eine interessante Biografie. 1944 in Weimar geboren, lernte er Kunstschmied, absolvierte ein Theologiestudium in Jena. Parallel zum Vikariat begann er 1968 eine Pantomimenausbildung. 13 Jahre lang - bis 1987 - war er Gastdozent an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Bereits ab 1974 gehörte er zum Pantomimenensemble des Deutschen Theaters Berlin. Nachdem man das dort für verzichtbar hielt, wurde er 1991 Mitbegründer des »Anderen Theaters«, aus dem das Hackesche Hoftheater hervorging. Der Darsteller, Autor und Regisseur Burkhart Seidemann wurde nach eigenen Worten nun »Admiralintendant«. Denn als Theaterchef brauche man nautische Qualitäten, um nicht unterzugehen.

Aber das blieb dem kleinen Theater in den Hackeschen Höfen nicht erspart, obwohl er es gut manövrierte. Gemeinsam mit den Kollegen holte er in der Nazizeit verbotene und zensierte Werke jüdischer Autoren aus dem Polizeiarchiv hervor, bot Klezmerkonzerte und Kinderprogramme an, in denen er auch selbst spielte. Beispielsweise einen herrlichen »Skrutsch« nach Charles Dickens zur Weihnachtszeit. Nach vier Jahren wurde das Theater 2006 aus der Immobilie vertrieben, auch wenn man dem dort einzigen Kulturort anderes versprochen hatte. Die Marktwirtschaft sei eben vergesslich, kurzsichtig, unstrategisch und von einem merkwürdigen Darwinismus geprägt, hatte Seidemann prognostiziert und gemeint, in den Höfen »keiner bleibenden Statt« sicher sein zu können. Schon hatte er wieder schmunzelnd Biblisches eingestreut. Schließlich war er auch Landpfarrer, bevor er seine Seele der Kunst verschrieb.

Seine Kunst brachte Seidemann 2003 durch ein in Brüssel erdachtes Projekt nach Norwegen, wo Lessing bekannter gemacht werden sollte. Dort spielte der Pantomime einen stummen Erzähler. Gestisches Theater nannte er eine Chance übergreifender kultureller Kommunikation von internationaler Anziehungskraft. Seine war groß.

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