Im Walzerschritt gegen den Tod

»Die Tänzerin von Auschwitz« am Theater Nordhausen nach dem Buch von Paul Glaser

  • Boris Gruhl
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf der Suche nach den eigenen, bislang unbekannten Wurzel seiner jüdischen Geschichte stießt vor einigen Jahren der Niederländer Paul Glaser auf die unglaubliche Geschichte seiner Tante Roosje, der »Tänzerin von Auschwitz«. Aus den Tagebüchern und Notizen seiner Tante setzte Glaser eine Biografie zusammen. Die Tochter wohlhabender Niederländer verbringt eine glückliche Kindheit in Deutschland, führt in den Niederlanden ein unbeschwertes Leben und gründet eine Tanzschule. Als die Nazis die Niederlande besetzen und die Verfolgung der Juden sie in Schwierigkeiten bringt, weigert sie sich den gelben Stern zu tragen. Sie versteckt Juden, führt ihre Tanzschule auf einem Dachboden weiter. Sie wird denunziert. Ihr Weg führt durch mehrere Lager in den Niederlanden nach Auschwitz in das Vernichtungslager Birkenau. Sie überlebt die Lager, den Todesmarsch, sie erlebt die Befreiung, lässt sich in Schweden nieder, wo sie im Jahre 2000 stirbt.

Nach der Lektüre des Buches »Die Tänzerin von Auschwitz« ist es schwer vorstellbar, diese komplexe Spurensuche auf die Bühne zu bringen. Am Theater Nordhausen hat Regisseurin Bianca Sue Henne für die intime Atmosphäre der Kammerbühne es dennoch inszeniert. Das ist kein dokumentarisches Theater, es gibt nicht eine Schauspielerin als Roosje, die - um zu überleben - mehrfach Namen und Identitäten wechselte. Es gibt vier Darsteller, die wie in Fetzen der Erinnerungen jeweils für Momente dieser Roosje ihre Stimmen, Körper und Bewegungen leihen, dies auch für andere Personen tun, mögen sie ihr nahe gestanden und zu ihr gehalten, oder sie verraten, betrogen und gequält haben.

Im Theaterstück spielt der Tanz eine größere Rolle als im Buch. In den Choreografien von Jutta Ebnother wird ums Überleben getanzt. Die Tänzer Joy Kammin und Olaf Reinecke, die Puppenspieler und Performancekünstler Caroline Kühner und Patrick Jech sind dabei von direkter Präsenz, individuell ist der persönliche Sprachgestus.

Was harmlos als Tanzstunde beginnt nimmt existenzielle Bedrohlichkeit an, wenn in komischer Weise gegen die hereindringenden Marschrhythmen angetanzt wird, wenn Roosje zu Klängen von Klezmermusik gegen ihre Traditionen antanzt, wenn sie sich mit einem SS-Mann zu Walzermelodien dreht. Sie setzte im Lager des Todes auf das Leben. Szenen der Erinnerungen oder des auf der Bühne nicht darstellbaren, wie etwa die Verbrechen des SS-Arztes Mengele, dessen Mitarbeiter Roosje sterilisierten, werden im Spiel mit verschiedenen Puppentypen angedeutet. So verbinden sich in dieser durchchoreografierten Inszenierung verschiedene Mittel des Theaters als Versuch der Spiegelung der Facetten des ungewöhnlichen Charakters dieser mutigen Frau.

Das Publikum ist nahe am Geschehen und blickt auf eine Wand mit vielen Fotos. Wer in Birkenau war, in der sogenannten Sauna, wird an die Wand mit den Familienfotos ermordeter Menschen denken. Auf der Bühne von Wolfgang Kurima Rauschning sind es Fotos auf denen Menschen fehlen. Ihre Gesichter sind aus den Aufnahmen herausgeschnitten.

In ihren Erinnerungen schreibt die Tänzerin von Auschwitz, dass sie erstmals in Freiheit zu Ravels »Bolero« tanzte. In Nordhausen tanzen dazu Roosjes Darsteller. Sie klammern sich immer wieder aneinander, die Opfer, die Täter, die Lebenden und die Toten.

Die für den 11. und 13. April geplanten Vorstellungen entfallen aufgrund der Verletzung eines der Darstellers. Sie sollen nach der Genesung des Künstlers nachgeholt werden. Infos: www.theater-nordhausen.de

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