Schlechtes Zeugnis für Agrarpolitik

Sachverständigenrat für Umweltfragen kritisiert hohen Pestizidverbrauch

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 3 Min.
Die deutsche Agrarpolitik bremst laut Sachverständigenrat für Umweltfragen ökologische Reformen in Europa. Bahnbrechende Vorschläge macht das Gremium nicht.

Deutschland hat »exzellente Voraussetzungen«, eine »Vorreiterrolle beim nachhaltigen Umbau der Industriegesellschaft« einzunehmen und so den Umweltschutz deutlich voranzubringen. Zu dieser Bewertung kommt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seinem am Dienstag in Berlin vorgestellten Jahresgutachten. Allerdings stehe Deutschland aufgrund seiner internationalen Verflechtungen auch »in der Verantwortung«, denn es greife »erheblich auf die natürlichen Ressourcen anderer Länder« zurück, so das seit 1972 bestehende Beratergremium der Bundesregierung.

In einigen Bereichen nehme das Land diese »Vorreiterrolle« bereits ein, loben die Sachverständigen unter dem Vorsitz von Martin Faulstich, Professor für Umwelt- und Energietechnik an der Technischen Universität Clausthal. Dies gelte insbesondere bei der Umstellung der Stromversorgung auf erneuerbare Energien.

Anders in der Agrarpolitik. Hier schwäche Deutschland die ökologischen Reformbemühungen in Europa und nutze auch »national die Spielräume für eine ambitionierte Umsetzung« nicht. Das Beratergremium sprach in seinem Gutachten von einem »Negativbeispiel«, besonders durch den übermäßigen Pestizideinsatz, der die Vielfalt von Flora und Fauna bedrohe. »Es fehlt ein breiter Konsens für eine umweltgerechte und zukunftsfähige Landwirtschaft«, schreiben die sieben ProfessorInnen verschiedener Fachrichtungen. Sie fordern ein besseres Monitoring, eine Abgabe auf Pflanzenschutzmittel sowie Pufferzonen, in denen keine Pflanzenschutzmittel angewendet werden dürfen, zum Beispiel an Gewässern und Feldrändern.

»Unambitioniert« nennt Heike Moldenhauer vom Bund für Umwelt und Naturschutz diese Vorschläge. Die Pestizidexpertin fordert stattdessen einen verbindlichen Reduktionsplan. Einen konkreten Vorschlag hierzu hatte im Januar diesen Jahres das Umweltbundesamt (UBA) gemacht. Mit einem »5-Punkte-Programm für einen nachhaltigen Pflanzenschutz« soll laut UBA erreicht werden, dass der Einsatz von Pestiziden deutlich verringert wird und stärker auf Alternativen gesetzt wird. Zwar sollen Pestizide schon heute als »allerletztes Mittel« eingesetzt werden. In der Praxis jedoch - die zudem kaum kontrolliert werde - würden Unkrautvernichter weiter massiv eingesetzt, so Moldenhauer. Laut SRU-Gutachten stieg der Verbrauch zwischen 2005 bis 2014 von rund 35 500 Tonnen auf etwa 46 100 Tonnen.

Die gescholtenen Landwirte befürchten, dass die »vom Umweltrat genannten Zielkonflikte einseitig zu Lasten der Landwirtschaft gelöst werden sollen«, so der Umweltbeauftragte des Deutschen Bauernverbandes, Eberhard Hartelt, in einer ersten Reaktion. »Der Sachverständigenrat spricht von ›strukturellen Veränderungen‹ der Landwirtschaft und meint damit offenbar eine Extensivierung und faktische Stilllegung großer Teile der Landwirtschaft«.

Der Pestizidexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, Harald Ebner, forderte Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) dagegen auf, sich für die Verringerung von Pestiziden einzusetzen, statt die Interessen der Agrarchemieindustrie zu vertreten.

Aktuell zeige sich die »fehlgeleitete Agrarpolitik der Bundesregierung« auch am erhöhten Einsatz des Pestizids Glyphosat in der Landwirtschaft, kritisiert Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament. Statt ökologische Vorrangflächen zu fördern, setze die Bundesregierung auf den Anbau von Zwischenfrüchten. Im Gegensatz zu anderen EU-Mitgliedsländern habe sich Deutschland wiederholt gegen eine anspruchsvolle Verknüpfung der Agrarförderung an Umweltforderungen eingesetzt. Stattdessen setze die Bundesregierung weiter auf »eine industrielle Export-Landwirtschaft«.

Neben der Agrarpolitik gibt es im Gutachten besonders Kritik an der Energieeffizienz in der Industrie. Hier forderte der Sachverständigenrat Unternehmen auf, die »Chancen einer anspruchsvollen Energieeffizienzpolitik systematischer« zu nutzen. »Viele Industrieunternehmen können Energiepreissteigerungen weitgehend kompensieren, indem sie ihre Energieeffizienz verbessern.«

Sorgen über Nachteile deutscher Unternehmen durch Klimaschutzauflagen wies das SRU als weitgehend unbegründet zurück. »In der Diskussion um eine ambitionierte nationale Klimapolitik wird oftmals das Argument vorgebracht, diese gefährde die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie oder führe sogar zu einer Deindustrialisierung«, heißt es in dem Gutachten. »Diese Befürchtungen erweisen sich bei genauer Analyse jedoch als weithin unbegründet.« Durchschnittlich machten in der deutschen Industrie die Energiekosten nur etwa zwei Prozent der Gesamtkosten aus.

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