Verurteilte Homosexuelle sollen rehabilitiert werden

Urteile gegen 50.000 Männer, die unter Berufung auf den Paragrafen 175 bestraft wurden, werden aufgehoben / Bundesjustizminister Maas (SPD): »Urteile waren Unrecht«

  • Lesedauer: 2 Min.
Es ist nicht nur eine Erinnerung an dunkle Zeiten: Zwar ist Homosexualität seit 1994 nicht mehr strafbar, die Urteile auf Basis des Paragrafen 175 wurden jedoch nie aufgehoben. Das soll sich jetzt endlich ändern.

Berlin. Wer sich in den sogenannten alten Bundesländern in trinkfreudige Herrenrunden begibt, wird von der Eckkneipenklientel über die Studentensause bis zur Gasgrillparty des aufstrebenden Managertypen auch heute noch immer wieder auf homophobe Witzchen treffen. Homosexuelle heißen dabei oft ganz schlicht »175er« – eine Anspielung auf den berüchtigten Paragrafen 175.

Jetzt sollen Männer, die unter Berufung auf diesen erst 1994 abgeschafften Paragrafen verurteilt wurden, rehabilitiert und entschädigt werden. Das kündigte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) an. Die Urteile gegen mehr als 50.000 Männer sollen aufgehoben werden. Ein Rechtsgutachten, das die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) am Mittwoch vorlegte, soll dabei »berücksichtigt« werden.

»Der Staat hat Schuld auf sich geladen, weil er so vielen Menschen das Leben erschwert hat. Der Paragraf 175 war von Anfang an verfassungswidrig«, sagte Maas. »Die alten Urteile sind Unrecht. Sie verletzen jeden Verurteilten zutiefst in seiner Menschenwürde.«

Die Bundesrepublik hatte den 1935 durch die Nationalsozialisten verschärften Paragrafen 175 des Strafgesetzbuchs (StGB) übernommen. Bis zur Entschärfung 1969 wurden nach Schätzungen rund 50.000 Männer zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, danach noch einmal etwa 3500. Homosexuelle Handlungen unter Männern waren bis 1994 strafbar. In der DDR wurde der Paragraf 175 bereits 1968 abgeschafft.

»Die mehr als 50.000 Opfer sind durch Verfolgung und Verurteilung im Kernbestand ihrer Menschenwürde verletzt worden«, betonte ADS-Leiterin Christine Lüders. »Diese Ungerechtigkeit darf der Gesetzgeber nicht länger hinnehmen.«

Das Gutachten des Münchener Staatsrechtlers Prof. Martin Burgi empfiehlt die kollektive Rehabilitierung der Betroffenen durch ein Aufhebungsgesetz. Dies würde es den Opfern ersparen, in einer Einzelfallprüfung erneut mit der entwürdigenden Verletzung ihrer Intimsphäre konfrontiert zu werden. Die Entschädigung soll über einen Fonds organisiert werden.

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) forderte, noch in dieser Legislaturperiode die Empfehlungen des Gutachtens umzusetzen. »Die Zeit drängt, damit Opfer der Homosexuellenverfolgung noch die Aufhebung der Unrechtsurteile und die Wiederherstellung ihrer Würde erleben.«

Der Grünen-Bundestagabgeordnete Volker Beck sagte: »Wenn die große Koalition schon die Gleichstellung von Homosexuellen verhindert, kann sie wenigstens die Opfer der Homosexuellenverfolgung in Deutschland endlich rehabilitieren und entschädigen.« dpa/nd

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