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Eine Prise Radau

Händelfestspiele Halle

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Wort Familienbande habe einen Beigeschmack von Wahrheit, meinte Karl Kraus. Mit Händels »Sosarme, Re di Media« lässt sich illustrieren, was damit gemeint ist. In der 1732 uraufgeführten Oper geht es im Kern um einen Vater-Sohn Konflikt, in den die ganze Familie hineingezogen wird und der, barockopernüblich, zur kriegerischen Haupt-und Staatsaktion ausartet. Was Ursache, was Folge ist, darüber kann man streiten. In der Inszenierung von Philipp Harnoncourt wird beides zusammengedacht. Mit Einfamilienhaussiedlung aus der Vogelperspektive als Projektion auf dem Vorhang; mit ramponierten Resten eines Wohnhauses auf der Drehbühne. Samt Wanne im Bad ohne Dach und den obligaten Großgemusterten an den Wänden. »Wegsprengen« liegt da als Assoziation in der Luft, und eine kurzgeschlossene Zündschnur liefert dann tatsächlich den gewaltigen Rums dazu. Auch sonst mischt Harnoncourt immer wieder eine Prise Radau unter Händels Arienwohlklang. Und davon gibt’s reichlich. Von einem exzellenten Ensemble auf der Bühne und einem mit seinen historischen Instrumenten aufspielenden Festspielorchester.

Einer der heute unvermeidlichen Counterparts ist der stilsichere Benno Schachtner als Sosarme. Der andere ist Michael Taylor, der gegen seinen königlichen Vater (Robert Sellier) mit diversen Hilfstruppen rebelliert. Als martialische mit Baseballschlägern Bewaffnete übernehmen die Komparsen gleich noch den Gesang, was dem Dreinschlagen einigen Wiedererkennungswert verpasst. Zu den Schwächen des bislang selten gespielten Stücks gehört wohl, dass Sosarme nur eine Nebenrolle spielt. Allerdings ist mitten im Stück ein schönes Liebesduett für ihn mit seiner Braut Elmira (Ines Lex) reserviert. Danach legen Händel und die Interpreten richtig zu, kommen der Intrigant im Stück (Ki-Hyun Park), aber auch die Anwälte der Vernunft, Halbbruder Melo (Julia Böhme) und königliche Mutter (Henriette Gödde), in Fahrt. Am Ende steht nicht mehr viel auf der Bühne, aber das ausführliche Lieto fine geht in geschlossenen Beifall für eine szenisch stürmische und musikalisch exzellente Inszenierung über. Schade nur, dass diesmal viele Plätze im Saal frei geblieben waren.

Halle bietet bis 12. Juni 9 barocke Opernschmuckstücke. Als Koproduktion mit dem Theater Heidelberg gab es »Didone Abbandonata«, das Händel als Pasticcio mit Musik des von ihm geschätzten Leonardo Vinci in London herausgebracht hatte und dessen Inszenierung von Yoga Kim schon im Rokokotheater Schwetzingen erprobt wurde - als spartanisches Kammerspiel das optische Kontrastprogramm zur Eröffnung in Halle. Aber fürs Goethe-Theater, Wolfgang Katschner und seine Lautten-Compagney gerade recht. Als Karthager-Königin Didone ist Rinnat Moriah ein Genuss, Kehlenartist Kangmin Justin Kim als Flüchtling Enea eine Wucht. Festspielluxus. Inklusive Wetter, nur die Straßenbaufirma vorm Theater hatte just zur Premiere noch zu tun.

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