Tradition verpflichtet

Ungarns Fußballer sind endlich zurück bei einer EM - auch dank deutscher Aufbauhilfe

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Dass Bernd Storck und Andreas Möller Ungarns Fußballer zum ersten Mal nach 44 Jahren zur EM geführt haben, hat viel mit politischem Willen und dem Fußballverständnis von Ministerpräsident Orban zu tun.

Wenn die deutsche Fußball-Nationalelf an diesem Samstag die Ungarn empfängt, wird ein alter Bekannter nach Gelsenkirchen zurückkehren: Andreas Möller hatte auf Schalke im Spätherbst seiner Profikarriere noch drei Jahre gespielt. Die EM-Generalprobe zwischen den traditionsreichen Fußballnationen (18 Uhr im ZDF) rückt unweigerlich das deutsche Trainergespann auf ungarischer Seite in den Fokus. Chefcoach Bernd Storck, der im vergangenen Sommer auf den heutigen Trainer von Hertha BSC, Pal Dardai, folgte, wollte Möller unbedingt als einen seiner Assistenten. Mit ihm hatte er in den 80ern zusammen in Dortmund gespielt.

Möller weiß, was bei einem Turnier zum Erfolg führt - und was nicht. Persönlich steht bei ihm die Europameisterschaft 1996 beispielsweise höher im Kurs als die Teilnahme an drei Weltmeisterschaften. Beim Triumph in England war er schließlich Führungsspieler. »Eine EM ist immer etwas ganz Besonderes«, sagt der 48-Jährige. Dies gilt nun auch für die Ungarn, dessen Sportgeschichte unweigerlich mit der Generation um Ferenc Puskas oder Nandor Hidegkuti verbunden ist, die so tragisch 1954 das WM-Finale gegen Deutschland verlor. Immer wenn sie in Budapest das Teamhotel aufsuchten, kämen sie an der Puskas-Statue vorbei, erzählt Möller. Und Storck weiß längst: »Tradition verpflichtet.«

Der 53-Jährige gilt als wichtiger Wegbereiter dafür, dass sich die Magyaren zum ersten Mal nach 44 Jahren wieder für eine EM qualifizieren konnten - an einer WM nahmen sie zuletzt 1986 teil. »Dieser Erfolg ist unglaublich, aber nur sekundär für mich«, sagt der mittlerweile bis 2018 gebundene Storck. »Primär geht es um das Land Ungarn. Ich hoffe, dass das ein Anfang für eine bessere Zukunft ist.« Der langjährige Assistent von Jürgen Röber, der kurzzeitig auch mal als Nationaltrainer in Kasachstan arbeitete, hat dem extrem beliebten Dardai viel zu verdanken, der seinem Verband einst den entscheidenden Rat gab, Storck im März 2015 als Sportdirektor zu verpflichten.

Die deutsche Aufbauhilfe beruhte zudem auf einem politischen Willen. Der erzkonservative Premier Viktor Orban ist einer der größten Fußballfans und -förderer, der sich nicht nur darauf beschränkt, bei Freizeitkicks noch selbst gegen die Kugel zu treten, sondern alles dafür tut, dass der Ball auf professioneller Ebene mit ausländischem Knowhow besser rollt. Dafür scheute die Regierung weder Kosten noch Mühen. Ihre Gesetzesänderung, wonach die Förderung »spektakulärer Teamsportarten« steuerlich enorm begünstigt wird, ist sehr umstritten. Orbans Partei Fidesz, die den Fußball vor allem zur Befeuerung nationaler Stimmungen im Land nutzt, bewilligte zudem enorme Summen zum Bau einer besseren Infrastruktur. Und sein Heimatdorf Felcsút hat der Präsident gleich mal zum Sitz der Fußballakademie gemacht.

Die staatliche Einmischung trägt Früchte im Fußball. Die EM-Qualifikation gelang. Die Partie beim Weltmeister kommt nun zur Standortbestimmung gerade recht. »Wir freuen uns auf das Spiel in Deutschland, da werden wir sehen, wo wir stehen«, glaubt Storck, der am vergangenen Freitag einer Nullnummer gegen die Elfenbeinküste nicht viel Bedeutung beimaß, steckte seinem Kader doch die harte Arbeit im Trainingslager in Leongang in den Knochen. Mit Torwart Peter Gulasci (RB Leipzig), der hinter dem schon 40-jährigen Kultkeeper Gabor Kiraly allerdings nur die Nummer zwei ist, Laszlo Kleinheisler (SV Werder), Zoltan Stieber (1. FC Nürnberg) und Adam Szalai (Hannover 96) sind vier Bundesliga-Akteure bei der EM dabei.

Vor allem Kleinheislers Rolle verdient Beachtung: Mit seinem vorentscheidenden Tor in den EM-Playoffs bei den Norwegern avancierte der damals in der Versenkung kickende Rotschopf zum Volkshelden. Während es der Mittelfeldkämpfer nach seinem Winterwechsel bei Werder Bremen nicht schaffte, Stammspieler zu werden, ist der 22-Jährige aus dem Nationalteam nicht wegzudenken. »Er ist auf der Zehner-Position genau der Spieler, den wir gesucht haben«, lobt Assistenztrainer Möller. »Spieler wie er oder Adam Nagy wurden perfekt ins Team integriert.« Jung, hungrig, willensstark.

Ein achtbares Ergebnis gegen die DFB-Auswahl soll helfen, mit breiter Brust in die EM zu gehen, in der in der prestigeträchtigen Auftaktpaarung gleich mal Nachbar Österreich wartet. Weitere Gegner sind dann Island und Portugal. Storck sieht sein Ensemble zwar als Außenseiter, aber dem ungarischen Fußball bescheinigt er »enormes Potenzial«. Das Land soll kein weißer Fleck auf der Fußballlandkarte bleiben - und diese EM-Teilnahme kein einmaliges Ereignis.

Als im vergangenen Jahr die 13 Spielorte für die EM 2020 vergeben wurden, scheiterten Städte wie Stockholm, Sofia oder Cardiff in der Vorauswahl. Budapest bekam allerdings wie selbstverständlich den Zuschlag. Orban persönlich hatte garantiert, das altersschwache Ferenc-Puskas-Stadion in einen modernen Tempel zu verwandeln. Die Abbrucharbeiten sind in vollem Gange. Vielleicht wird sich sogar Andreas Möller auch hier noch mal staunend umschauen.

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