Konzentration aufs Kanzleramt

Das Nazi-Reich und die Bundesrepublik - Historiker wollen an die Akten der Regierungszentrale heran

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Wie schon bei anderen Ministerien und Dienststellen zuvor, drängt die Linksfraktion im Bundestag auf die Aufarbeitung der NS-Geschichte des Kanzleramtes. Eine Expertenanhörung wies Wege.

Das Kanzleramt, so machte die dort zuständige Staatssekretärin Monika Grütters (CDU) im Vorfeld deutlich, begrüße den Vorstoß. Doch sehe man es lieber, wenn man nicht die Herkunft des Amtes alleine untersuche. Sie möchte das Projekt allgemeiner fassen, querschnittsartig. Nun ist in den vergangenen zehn Jahren viel geschehen bei der Erforschung von personellen und inhaltlichen Kontinuitäten zwischen dem Dritten Reich und der Bundesrepublik. Das Auswärtige Amt ging voran, weitere Ministerien folgten. Der Bundesnachrichtendienst wird derzeit durchleuchtet. Ebenso das Bundesinnenministerium, das gemeinsam mit dem DDR-Innenministerium gehütete Interna freigeben soll. Nur die wesentliche Schaltzentrale der Bundesrepublik, das Kanzleramt, ist bislang eine Leerstelle. Dabei wurde hier das allgemeine Vergessen der braunen Vergangenheit organisiert.

Jan Korte, Vizechef der Linksfraktion, fragt, wie aus dem Kanzleramt heraus Weichen gestellt worden sind. Wie prägend war das Amt in der Adenauer-Kanzler-Demokratie? Was veränderte sich unter Ludwig Ehrhard und unter SPD-Herrschaft? Wie betrieb man den Antikommunismus, relativierte die Jahrhundertverbrechen Deutschlands, forderte und förderte die Wiederbewaffnung? Es geht Korte und seiner Fraktion, die den Antrag zur Geschichtsaufarbeitung im Kanzleramt stellte, nicht darum, eine Rangfolge der am meisten NS-belasteten Beamten zu erarbeiten. Da freilich stünde Hans Maria Globke, Adenauers graue Eminenz, Staatssekretär zwischen 1953 und 1963, ganz oben. Ihm gebührt dieser Platz, denn der Jurist hatte 1936 per Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen letztlich die Judenverfolgung legitimiert.

Der Bundestagsausschuss für Kultur und Medien befragte in der vergangenen Woche sechs Wissenschaftler zu dem geforderten Forschungsvorhaben. Sie kamen aus Köln, Jena, Berlin, Hamburg, Potsdam und München. Ihre fachliche und politische Ausrichtung ist alles andere als uniform. Aber: Alle waren sich einig, dass man endlich beginnen sollte. Zumal, Professor Klaus-Dietmar Henke, der im Team den BND als eine dem Kanzleramt zugeordnete Behörde untersucht, beschwört: »Die Akten des Kanzleramtes sind in einem großartigen Zustand.« Allerdings plädierte der Historiker dafür - anders als in Sachen BND - Forscher nicht einfach durch die Behörde selbst zu bestimmen. Das Projekt müsse ausgeschrieben werden, betonte auch Professor Norbert Frei von der Universität in Jena. Es wäre »grotesk, wenn das Kanzleramt ausgespart bliebe« und damit dessen Rolle für die gesamte Politik und die Entwicklung der Demokratie in der Bundesrepublik unberücksichtigt bliebe. Ulrike Jureit vom Hamburger Institut für Sozialforschung interessiert die Rolle von »Expertenwissen«, das scheinbar weltanschaulich neutral Beamteneliten über Systembrüche trägt. Vergleichende Untersuchungen mit der jeweiligen Nachkriegssituation in Italien und Japan könnten Interessantes zutage fördern.

Sogar dem CDU-Abgeordneten Philipp Lengsfeld dämmerte, dass »die LINKE da etwas befeuert« hat. Doch ihm war die »Harmonie« der Experten »einfach zu viel«. Getreu der Totalitarismustheorie suchte er das für sie notwendige Gleichheitszeichen zwischen den Diktaturen. Und wenn sich im DDR-Staatsaufbau kein Pendant zum Kanzleramt finden lasse, sollte man wenigstes das westdeutsche Presseamt mit der Abteilung Agitation im ZK der SED messen. Lengsfeld zeigte sich besorgt, dass die Propaganda der DDR, die die alten Nazis im Kanzleramt per Braunbuch an den Pranger stellte, bestätigt werde. Seine Belege für die Vermutung? Es habe, so Lengsfeld, sich ja erst später herausgestellt, dass der Westberliner Polizist, der Benno Ohnesorg erschossen und damit die 68er Bewegung vorangetrieben hatte, ein Stasi-Agent und SED-Mitglied war.

Kopfschütteln in der Runde. Die Bedenken des CDU-Mannes markierten genau das, was nach Ansicht aller Wissenschaftler unbedingt zu verhindern ist - eine Ideologisierung der Forschung. Freilich könne man das Kanzleramt nicht ohne DDR betrachten, schon weil man feststellen muss, dass deren Propaganda gegen Nazi-belastete Beamte in Adenauers Umgebung zwar den Tatsachen entsprach, doch im Westen genau das Gegenteil dessen bewirkte, was man in Ostberlin erreichen wollte. Es blieb alles, wie ist war.

Jenseits solcher deutsch-deutschen Fragen wäre es auch interessant zu erforschen, wie Adenauer die sogenannte Wiedergutmachungspolitik gegenüber Israel durchgesetzt hat. Denn dass die Begeisterung alter Nazis in seinem Kanzleramt dafür nicht groß gewesen sein kann, ist sicher unbestreitbar.

Ein interessantes Phänomen über die Systembrüche hinweg sei die Tatsache, dass der Beamtenapparat letztlich macht, was er will, bestätigten die Gutachter. Den Beweis dafür lieferte unfreiwillig dann der Vertreter des Kanzleramtes. Zum Schluss der Anhörung lobte er - wie seine Chefin Monika Grütters - die Initiative, versprach auch Unterstützung für das Projekt, das aber nicht nur kanzleramtsspezifisch angelegt sein könne. Hat der Mann geschlafen, als sechs Experten einmütig das Gegenteil forderten? Man darf auf die folgende Debatte im Parlament und die Formulierung des Forschungsauftrages gespannt sein.

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