Die Drehkreuze blockieren

Weltweit wächst die Transport- und Logistikbranche - Arbeitsbedingungen variieren stark

  • Jörn Boewe
  • Lesedauer: 4 Min.
ILO-Konferenz: Globale Wertschöpfungsketten werden immer wichtiger. Eine Verbesserung der oft schlechten Arbeitsbedingungen braucht neue gewerkschaftliche Strategien.

»Menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten« war eines der zentralen Themen auf der diesjährigen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen, die am Montag in Genf zu Ende ging. Mehr als 20 Prozent aller Menschen arbeiten in globalen Lieferketten, Tendenz steigend, heißt es im dort vorgelegten Bericht. Weltweit wuchs der Anteil dieser Art von Produktionsbeziehungen an der Gesamtwirtschaft von 2005 bis 2010 jährlich um 4,5 Prozent. Überdurchschnittlich rasant werden dabei Südasien und die »Übergangswirtschaften« Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion in die Wertschöpfungsnetze einbezogen. Hier liegt der jährliche Zuwachs bei 9,5 beziehungsweise acht Prozent. In der Europäischen Union ist jeder dritte Arbeitsplatz betroffen.

Wertschöpfungs-, Lieferkette, Produktionsnetzwerke - eine Vielzahl von verwirrenden Begriffen kursiert, die aus leicht unterschiedlichen Perspektiven alle dasselbe meinen: Es geht um Produktion und Handel mit Gütern und Dienstleistungen über nationale Grenzen hinweg. Was die modernen globalen Wertschöpfungsketten von traditionellen Handelswegen unterscheidet, ist eine stärkere internationale Arbeitsteilung und die Kontrolle des gesamten Prozesses durch transnationale »Leitfirmen«.

Aus Perspektive der Beschäftigten ist die Entwicklung zwiespältig. Während bei multinationalen Unternehmen meist höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen geboten werden als bei rein nationalen Firmen, sind »auf den unteren Ebenen der globalen Lieferketten und in ausgelagerten Unternehmen, beispielsweise informelle Arbeit und Einstellung über Arbeitskräfteverleiher« weit verbreitet, heißt es im ILO-Report.

Insgesamt hätten »Faktoren wie höhere Kapitalmobilität, verschärfter Wettbewerb angesichts der Globalisierung, Arbeitsmarktreformen, geringerer Umverteilungseffekt der Steuer- und Sozialsysteme und rückläufige Gewerkschaftszugehörigkeit« dazu geführt, »dass die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer geschwächt wurde«. Als besonders problematisch schätzt die ILO die Situation in Sonderwirtschaftszonen ein - Gebiete, in denen Transnationalen Unternehmen und ihren Zulieferern Steuer-, Zoll- und andere Vergünstigungen gewährt werden.

In diesem Kontext gibt es einen Sektor, der besonders stark wächst - die Transport- und Logistikindustrie. Wie eine auf der Konferenz vorgelegte Branchenstudie zeigt, ist die Zahl der Arbeitsplätze hier weltweit von 2009 bis 2013 um mehr als 20 Prozent gestiegen. Wie die ILO unterstreicht, sind Transport und Logistik »ein zentrales Bindeglied« innerhalb der Wertschöpfungsketten.

Für Gewerkschaften ist das strategisch interessant: Wie die Internationale Transportarbeiterföderation ITF auf ihrem letzten Weltkongress 2014 betonte, »besetzen Verkehrsbeschäftigte eine strategische Position«. Wertschöpfung ist heute »just in time« abgestimmt, was sie empfindlicher macht. »Koordination auf internationaler Ebene kann die Voraussetzungen dafür schaffen, an wichtigen Hebelpunkten entlang strategischer globaler Lieferketten Gewerkschaftsaktionen durchzuführen.«

Verstärkt arbeitet die ITF deshalb daran, ihre Aktionsfähigkeit rund die neuralgischen Punkte in den Lieferketten zu erhöhen. Im Rahmen ihres »Industrial Hubs«-Programm organisiert sie Schulungen für Gewerkschafter verschiedener Branchen, deren Aktivitäten sich an Häfen und Logistikdrehkreuzen treffen. Anfang 2016 bestand das Konzept den einen Praxistest, als durch einen gemeinsamen Streik unterschiedlichster Berufsgruppen im schottischen Hafen Grangemouth die Streichung von 700 Stellen abgewehrt werden konnte. Grangemouth ist der zentrale Ölhafen für ganz Schottland und Nordengland. Wie Mark Lyon, ITF-Koordinator des Industrial-Hubs-Programm betont, müssen »Industrial Hubs« nicht unbedingt Häfen sein: »Auch Flughäfen sind zentrale Konvergenzpunkte globaler Lieferketten. Was wir entwickelt haben, ist ein Modell, das weltweit übersetzt werden kann.«

Das allerdings steht noch ganz am Anfang. Zwar gibt es etwa in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, die ja auch der ITF angehört, seit Jahren Diskussionen, das Konzept im Konflikt beim Versandhändler Amazon anzuwenden. Vorschläge, die gewerkschaftlich gut organisierten Hafenarbeiter etwa in Bremerhaven in den Arbeitskampf einzubeziehen, wurden bislang von der Leitung des Fachbereichs Handel abgeblockt. So bleibt es bis auf Weiteres den betrieblichen ver.di-Vertrauensleuten und ihren lokalen Unterstützern überlassen, Warenströme zu und von den Amazon-Verteilzentren durch Straßenblockaden und Flugblatt-Verteilaktionen an Lkw-Fahrer zu behindern.

Auch die RLS hat sich in die Diskussion eingeklinkt. Mit einer Vernetzungs- und Informationsreise »Auf umgekehrten Güterwegen« von Berlin über Duisburg nach Rotterdam soll der Erfahrungsaustausch von Logistikbeschäftigten gefördert werden. Im Berliner Westhafen, in Duisburg, dem größten europäischen Binnenhafen und in Rotterdam sind Gespräche und öffentliche Veranstaltungen mit Gewerkschaften der Hafenbeschäftigten geplant.

»Save Havens« oder kein Land in Sicht? Soziale Konflikte in der Hafenwirtschaft und Seeschifffahrt. Podiumsdiskussion mit Klaus Schroeter (ver.di), Sebastian Gerhardt (Lunapark21, Sabine Leidig (MdB, LINKE). 21. Juni 2016, 19 Uhr, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1, Berlin, Seminarraum 1. dasnd.de/gueterwege

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