Hauptstadt der Abschiebungen

Senat verdreifacht Zwangsausweisungen / Sinti und Roma protestieren gegen Asylgesetz

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 3 Min.
Viele Länder des Westbalkans werden als sichere Herkunftsländer eingestuft. Asylanträge von Geflüchteten mit dieser Herkunft werden fast immer abgelehnt. Die häufige Folge ist ihre Abschiebung.

»Eins, zwei, drei, vier - alle Roma bleiben hier!« Unter dem Motto »Bleiberecht für alle« demonstrierten am vergangenen Sonntag unter anderem der »Bundes Roma Verband« und das »Rroma Informations Centrum« gegen die Abschiebung von Sinti und Roma. »Wir fordern ein bedingungsloses Einreiserecht und uneingeschränktes Bleiberecht für Roma«, tönte es während der Kundgebung am Hermannplatz in Neukölln aus den Lautsprechern. In einem Redebeitrag beriefen sich die Aktivisten auch auf die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Sinti und Roma, die im Nationalsozialismus massiv verfolgt und ermordet wurden.

»Deutschland muss Nachkommen von Völkermordopfern Schutz und Lebensperspektive bieten«, hieß es im Aufruf zur Demonstration. Denn Sinti und Roma werden in Ländern wie Bosnien, Serbien und Albanien diskriminiert und verfolgt. »Wir haben in den Staaten Ex-Jugoslawiens keine Rechte. Dort ist kein Platz für uns«, sagte auch Roma-Aktivist Zlatko Djokovic, der schon lange in Deutschland lebt. Und: »Ich gehöre nicht nach Serbien, ich gehöre nach Deutschland.«

Der Bund jedoch stuft die meisten Balkanstaaten als »sicherere Herkunftsländer« ein, was dazu führt, dass fast alle Asylanträge von Westbalkanflüchtlingen abgelehnt werden. Sie müssen das Land wieder verlassen - wenn nicht freiwillig, dann mittels Abschiebung.

Berlin gilt inzwischen als Abschiebehauptstadt: Allein in diesem Jahr wurden hier über 1000 Menschen zwangsausgewiesen. Gegenüber der ersten Hälfte des Vorjahrs ist das fast eine Verdreifachung: Damals waren es 374. Die häufigsten Länder, in die dieses Jahr abgeschoben wurde, waren Serbien (319), Bosnien (213), Kosovo (188) und Albanien (184). »Wer keine Bleibeperspektive hat, muss unser Land wieder verlassen«, sagt Innensenator Frank Henkel (CDU). Berlin setze auch weiter konsequent auf Abschiebungen, um Recht und Gesetz durchzusetzen. »Der Bund hat eine Verdopplung der Abschiebungen in diesem Jahr als Zielmarke ausgegeben. Berlin liegt bislang also deutlich über dieser Erwartung«, sagt Henkel.

»Ein Schutz wird uns aufgrund der Regelung der ›sicheren Herkunftsländer‹ pauschal verwehrt, unsere Fluchtgründe werden ignoriert«, sagte ein Sprecher des Bündnisses »Alle bleiben« am Sonntag. »Dadurch werden wir in die Illegalität gezwungen.« Aus diesem Grund fordern Sinti und Roma, dass Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien sowie Montenegro und Serbien nicht mehr als sichere Herkunftsländer gelten.

»Diese Einstufung muss zurückgenommen werden«, fordert auch Fabio Reinhardt, Sprecher für Integrations- und Flüchtlingspolitik der Piratenpartei. Darüber hinaus müsse ein System entwickelt werden, mit dem verfolgten Minderheiten wie Sinti und Roma ein faires Asylverfahren ermöglicht wird, beispielsweise über Kontingente. Sogenannte Kontingentflüchtlinge durchlaufen kein Annerkennungs- oder Asylverfahren, sondern erhalten mit ihrer Ankunft eine sofortige Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. »Das jetzige Verfahren führt dazu, dass die Menschen immer wieder kommen, auch wenn sie abgeschoben werden«, sagt Reinhardt.

Auch wenn sie in Deutschland bleiben, haben Sinti und Roma nur schwer Zugang zu Arbeitsmarkt, Bildungssystem und Wohnraum. Auch rassistische Anfeindungen, Übergriffe und Diskriminierungen gehören zum Alltag. Die Abschlusskundgebung der Demonstration am Sonntag fand auch deshalb in der Emserstraße in Neukölln statt. Hier hatte eine Ladenbesitzerin vor einigen Wochen ein Verbotsschild gegen Sinti und Roma ins Schaufenster gehängt. Romeo Franz, Geschäftsführer der »Hildegard Lagrenne Stiftung«, die für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland eintritt, sagte dem »nd« zu dem Vorfall: »Antiziganismus muss genauso schändlich verurteilt werden wie Antisemitismus.«

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