»Es gibt Falken in beiden Lagern«

Wolf-Christian Paes über die Auseinandersetzungen zwischen Dinka und Nuer in Südsudan

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 6 Min.

Die UNO sieht die Moral der UN-Blauhelmmission UNMISS ernsthaft gefährdet, weil Deutschland, Schweden und Großbritannien »ohne vorherige Beratungen« angekündigt hätten, zwölf Polizisten ersatzlos abzuziehen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Das ist starker Tobak. Trotzdem stellt sich die Frage, warum europäische Nationen trotz der Lippenbekenntnisse zum UN-Peacekeeping gerade dann die Polizisten abziehen wollen, wenn sich die Situation zuspitzt. Gerade die Polizisten haben in den vergangenen Wochen bei dem Versuch Zivilisten zu schützen, wichtige Arbeit geleistet. Diese Arbeit nun - wenn es brenzlig wird - den Soldaten und Polizisten aus Entwicklungsländern zu überlassen, ist ein falsches Signal.

Wolf-Christian Paes arbeitet beim Internationalen Konversionszentrum in Bonn (BICC), das sich in Südsudan um den Aufbau von Institutionen zur Stärkung von Frieden und Sicherheit bemüht. Über die prekäre Lage im jüngsten Staat Afrikas rund um den fünften Jahrestag der Unabhängigkeit am 9. Juli sprach mit ihm für »nd« Martin Ling.
Wolf-Christian Paes arbeitet beim Internationalen Konversionszentrum in Bonn (BICC), das sich in Südsudan um den Aufbau von Institutionen zur Stärkung von Frieden und Sicherheit bemüht. Über die prekäre Lage im jüngsten Staat Afrikas rund um den fünften Jahrestag der Unabhängigkeit am 9. Juli sprach mit ihm für »nd« Martin Ling.

Die Regierung von Salva Kiir lehnt eine Verstärkung der internationalen Friedenstruppen der Mission der Vereinten Nationen in Südsudan (UNMISS) ab. Sie ist der Auffassung, dass die 12 000 Soldaten ausreichend sind. Wie sehen Sie das?
Die Anzahl der Soldaten ist nicht die zentrale Frage, sondern wie legen sie ihr Mandat aus? Der UNMISS wird seit geraumer Zeit und auch während der jüngsten Eskalation mit über 300 Toten und 40 000 Flüchtlingen Mitte Juli der Vorwurf gemacht, dass sich die Soldaten aus ihren Lagern nicht raustrauen und somit ihrem Anspruch, die Zivilbevölkerung zu schützen, nicht gerecht geworden sind. Sie gehen nicht auf Patrouille, sie verschanzen sich in ihren Anlagen. Das ist etwas, was wir bei der UNMISS schon seit Jahren beobachten. Mehr Soldaten helfen da nicht weiter, sondern nur ein anderes Mandat und vor allem eine andere Führung.

Die ostafrikanische Regionalorganisation IGAD soll ein robusteres Mandat in Erwägung ziehen, oder?
Ja. In der IGAD kursiert die Idee, eine regionale Eingreiftruppe zusammenzustellen. Bisher ist nicht klar, ob die im Rahmen des bestehenden UNMISS-Mandats agieren oder ein eigenständiges Mandat haben soll. Als Modell hierfür dient die mit einem robusten Mandat ausgestattete afrikanische Interventionsbrigade in Ostkongo innerhalb der UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo MONUSCO, die gewisse Stabilitätserfolge erzielt hat. In Südsudan besteht im Unterschied zur DR Kongo schon die Schwierigkeit für die IGAD, den »Feind« zu benennen. Wer ist der Aggressor, die Dinka dominierte Armee oder die Rebellen? Der Dinka-Präsident Salva Kiir oder der Nuer-Vize Riek Machar?

Sudan, von dem sich Südsudan 2011 abgepalten hat, ist unter anderem Mitglied bei IGAD. Ist diese Organisation ein neutraler Mittler?
IGAD ist kaum in der Lage, dieser Rolle gerecht zu werden. Die Nachbarstaaten Südsudans haben sicher Eigeninteressen, nicht nur Sudan, sondern auch Uganda und Äthiopien. Gleichzeitig handelt es sich bei IGAD um eine sehr kleine Organisation mit wenig Erfahrung bei der Vermittlung in einem so komplexen Prozess. Hier sind andere Akteure - etwa die AU - gefragt, sich stärker politisch zu engagieren.

Die Lage in Südsudan hat sich seit dem Waffenstillstand vom 11. Juli oberflächlich beruhigt. Kam die neuerliche Gewalteskalation überraschend? Schließlich wurde im August 2015 ein Friedensabkommen zwischen Kiir und Machar geschlossen und Machar kehrte im April mitsamt seiner Nuer-Minister wieder in die Regierung zurück.
Der Gewaltausbruch war keine Überraschung. Meine Kolleginnen waren zuletzt vor etwa drei Wochen in Südsudan, also kurz vor der jüngsten Eskalation. Sie haben mit vielen Akteuren gesprochen, inklusive der Generäle, die jetzt zu den Waffen riefen. Sie machten keinen Hehl daraus, dass sie dazu jederzeit bereit sind. Wer genau wann warum losgeschlagen hat, ist weiter unklar - ob die Rebellen oder die zu Salva Kiir loyalen Teile der Armee. Beide weisen sich gegenseitig die Schuld zu.

Sind die alten Rivalen Kiir und Machar wieder die Rädelsführer?
Eher nicht. Ein Teil der Auseinandersetzung begann, als die beiden gerade eine gemeinsame Pressekonferenz im Präsidentenpalast abgehalten haben. Das spricht nicht dafür, dass sie wussten, dass das jetzt passieren würde. Es spricht einiges dafür, dass sich unterhalb dieser ersten Führungsebene zunehmend die »Falken« auf beiden Seiten durchsetzen.

Ist das Friedensabkommen von August 2015 jetzt Makulatur?
De facto wurde es von Anbeginn an ohnehin nur oberflächlich umgesetzt. Die Opposition kehrte zurück nach Juba, mit ihren Ministern, es gibt wieder formal eine Regierung der nationalen Einheit. Mehr passierte nicht. Es gibt weiterhin zwei bis an die Zähne bewaffnete Gruppierungen, die sich nicht vertrauen. Ein Funke genügt, um diese Gemengelage wieder zum Explodieren zu bringen. Es ist völlig unklar, wie der Konflikt aufgearbeitet werden soll, der im Dezember 2013 mit dem angeblichen Putschversuch von Machar gegen Kiir seinen Ausgang nahm. Strafrechtlich oder mittels eines Versöhnungsprozesses?

Manche Südsudanesen spekulieren, dass der Armeechef Paul Malong, ein Dinka, der böse Bube im Spiel ist und versucht, die beiden anderen, Kiir und Machar, gegeneinander auszuspielen, um selber die Macht zu ergreifen. Was halten Sie davon?
Das vermag ich nicht zu beurteilen. Malong ist sicher eher ein Kriegstreiber - ein Falke. Es gibt Falken in beiden Lagern. Innerhalb der Generalität gibt es fraglos Leute, die diesen Friedensprozess nicht wollen und das auch meinen Kolleginnen sehr deutlich gesagt haben. Was für persönliche Motive Malong damit verbindet, müsste er selbst gefragt werden.

Die Armee bestand vor dem ersten Nach-Unabhängigkeitskrieg von Ende 2013 in ihrer Mehrheit aus Nuer, soll inzwischen in ihrer Mehrheit aus Dinka bestehen. Hat diese Verschiebung die Spannung zwischen Dinka und Nuer verschärft?
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese Verschiebung so stattgefunden hat. Traditionell rekrutierte sich die Sudanesische Befreiungsarmee (SPLA) hauptsächlich mit Soldaten aus dem jetzt nördlichsten Bundesstaat Upper Nile, weil das die Region ist, in der ein Großteil der Kämpfe in den 80er und 90er Jahren im Kampf um die Unabhängigkeit von Sudan stattgefunden hat. In diesen Regionen leben sowohl Nuer als auch Dinka und die beiden Gruppen sind daher auch am stärksten innerhalb der SPLA vertreten. Es ist durchaus möglich, dass die Nuer angemessen an ihrem Bevölkerungsanteil überrepräsentiert waren. Ein Problem nicht nur in Bezug auf die Armee, sondern auch auf die staatlichen Institutionen generell ist, dass andere kleinere Bevölkerungsgruppen deutlich unterrepräsentiert sind.

Was muss geschehen, damit das Land eine friedliche Zukunft hat?
Kurzfristig ist es notwendig, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen enden. Da würde ich mir mehr Engagement der internationalen Gemeinschaft, selbstverständlich auch der UNMISS, wünschen. In Juba ist die Situation einigermaßen ruhig seit einigen Tagen, aber in anderen Landesteilen gab es durchaus auch nach dem Waffenstillstand noch weitere Auseinandersetzungen. Langfristig stellt sich die Frage, ob das Friedensabkommen nochmals neu verhandelt werden muss. Aus unserer Sicht ist der Frieden, so wie er 2015 in Addis Abeba ausgehandelt wurde, schwer umzusetzen. Dort wurde versäumt zu klären, wie den beiden verfeindeten, bewaffneten Gruppierungen beizukommen ist. Das ist die Conditio sine qua non für einen Friedensprozess.

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