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Kulturbotschafter

Stefan Behrens kam nach der Wende 
in den Osten, kaufte später eine 
alte Villa im Havelland und baute sie 
zum Kulturzentrum aus. Seine Liebe 
gilt der Kunst der DDR.

  • Astrid Kloock (Text) und 
Wolf Spillner (Fotos)
  • Lesedauer: 8 Min.
»Der Kommunismus-Versuch ist misslungen. Wir haben ihn begraben. Zu glauben, er wäre für immer tot, ist dumm. Wir bewegen uns zeitgeschichtlich in einer Endphase. Wenn Politik nicht mehr in der Lage ist, den herrschenden wirtschaftlichen Wahnsinn und die Probleme, die wir auf der Erde haben, unter Kontrolle zu bringen, wird es zu anderen Formen kommen müssen.« Stefan Behrens

Es ist Sommer. Blau blüht der Lavendel. Die Villa am See »erwartet sich ein Fest«. Stefan Behrens begrüßt seine Gäste. Ihm gehören das Haus in Premnitz und die stattliche Kunstsammlung. Eine Kapitalanlage mit ideeller Botschaft, wichtig in unserer Zeit, in der die Kultur des Zuhörens, Hinsehens und Nachdenkens verloren zu gehen droht.

»Eine Gesellschaft ist nicht lebensfähig ohne Kultur. Kunst und Kultur sind das Scharnier zwischen dem tatsächlichen Leben und der Vorstellung von dem, was wir suchen, was wir verändern wollen. Vieles können wir in der Wirklichkeit nicht realisieren. Die Kunst kann einen Schritt voraus tun. Schrittmacher ist immer der Mensch. Er steht im Fokus des Seins und der künstlerischen Darstellung. Nichts ist spannender als der Mensch. Das ist so. Ein Kopf ist interessanter als eine Kugel«, sagt Stefan Behrens beim Sommerfest seines Hauses im Juli.

Der Mann versteht sich als Kulturbotschafter. 2013 kauften er und seine Frau Ulrike die ehemalige Direktorenvilla am Rande der kleinen Stadt im Havelland. Premnitz hatte zu DDR-Zeiten durch das Chemiefaserwerk einen Namen. 7000 Beschäftigte arbeiteten hier. Das hat sich geändert; wir kennen das Lied. Als sich die Behrens› hier einkauften, jubelte der Bürgermeister: Premnitz werde nun ein bedeutender Standort der deutschen Kunst!

Das Geld für die Villa und für ihren Kulturplan haben die Behrens‹ mitgebracht. Schön für die Stadt, für die Menschen und für das »Scharnier der Gesellschaft« im marktorientierten Heute, da Kultur zu den freiwilligen Aufgaben einer Kommune gehört.

Als Stefan Behrens vor drei Jahren in die Villa am See einzog, war er schon lange kein Wessi mehr. Er hatte nach der Wende den Betrieb Wasseraufbereitungsanlagen Markkleeberg in Rathenow übernommen, einen 650-Mann-Betrieb, dessen Auftragsbücher Anfang der Neunziger noch für weitere 16 Jahre gut gefüllt waren. Die neue Zeit überholte die alten Möglichkeiten. Der Betrieb machte Verluste. Die Treuhand verkaufte. Behrens kaufte. Der Kunsthistoriker aus dem Westen wurde Unternehmer im Osten. Anfangs war das Misstrauen der Behörden groß, die Kreditbewilligung zögerlich. Verständlich. Das Land musste eine Wende verkraften. Auch Behrens hatte sich gedreht.

Stefan Behrens ist im Harz geboren. Von Kindesbeinen an war er ein bewegtes Leben gewöhnt. Aufgrund des väterlichen Berufes blieb die Familie nie länger als zwei Jahre an einem Ort. Der Junge ist in 16 verschiedene Schulen gegangen. Dann brachte das Studium örtliche Stetigkeit in sein Leben. Er studierte an der Freien Universität Berlin, wählte eine geisteswissenschaftliche Ausrichtung, belegte alle möglichen Fächer im Grundstudium - Germanistik, Jura, Kunstgeschichte, Philosophie und Betriebswirtschaft, endete mit Philosophie und begann sein Arbeitsleben als Kunsthistoriker bei Sotheby›s in London. In London und später in Berlin war er im Wesentlichen mit philosophisch-ästhetischen Fragen beschäftigt, mit Sachen »aus dem Überbau«. Zwanzig Jahre lang.

Nun bewegte sich das Land. Behrens war vierzig. Er wollte etwas Praktisches tun, nicht länger »nebenher laufen, am realen Leben vorbei«. Den endgültigen Anstoß für seine Entscheidung gaben die Ereignisse um den Sänger Wolf Biermann und seinen Rausschmiss aus der DDR, der schon ein paar Jahre zurücklag. Damals hatten einige Professoren der Freien Universität Berlin eine Petition an SED-Chef Erich Honecker geschrieben, mit der Bitte, den Entschluss zu bedenken. Sie waren von der Ostberliner Kulturbehörde rigide zurechtgewiesen worden. Für Behrens eine nachhaltige Lehrstunde in Sachen Unabhängigkeit. Was nützten Hegel und Marx, wenn es möglich war, dass eine staatliche Macht mit der geistigen Elite so umspringen konnte. Seine mögliche Hochschulkarriere als Philosoph hatte ihre Leuchtkraft verloren. Er hatte gelernt: Frei war, wer sich finanziell unabhängig machen konnte.

Behrens hat seinen Betrieb in Rathenow zwanzig Jahre erfolgreich geführt. Nun ist er sechzig, hat sich ein stabiles finanzielles Fundament erarbeitet, ist gesund, neugierig, voller Kraft und von Herzen und mit Leidenschaft ein Botschafter für Kunst und Kultur. Er besitzt ein Haus und eine Bildersammlung Moderne des 20. Jahrhunderts, die mehr als 1000 Arbeiten umfasst. Seine Sammelleidenschaft begann in der Schulzeit. Seine Ersterwerbung war eine Lithografie von Max Liebermann. Behrens‹ besondere Liebe gilt der Entwicklung der Künste nach 1945 in der DDR. Walter Libuda, Harald Metzges, Dieter Goltzsche, Michael Morgner - Maler, Grafiker und Bildhauer, die auf den guten Schulen in Halle, der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee und der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar bei guten Lehrern gelernt haben. Er kommt auf seinen Lieblingssatz zurück. »Ein Kopf ist interessanter als eine Kugel.« Dabei geht es ihm nicht um Gegenständlich gegen Abstrakt, sondern um Konkret gegen Beliebig. In der westdeutschen Kunst ist der Mensch immer weniger erkennbar geworden. Das ist es, was Behrens einen Mangel nennt.

In seinem Haus gibt es wechselnde Ausstellungen, Konzerte, Vorträge, Diskussionen, ein Mal im Jahr ein Sommerfest. Ein Freundeskreis berät und realisiert das Jahresprogramm. Ohne Vereinsstatut, ohne Subventionen oder Fördermittel. Maßstab ist das Menschenbild in der Kunst. Alle sind willkommen, die neugierig sind, egal, ob sie sich in der Kunst auskennen oder zum ersten Mal ein Bild betrachten. Frei nach Georg Christoph Lichtenberg - wir müssen lernen, dass wir denken wollen, und nicht, was wir denken sollen.

»Der Kommunismusversuch ist misslungen. Wir haben ihn begraben. Zu glauben, er wäre für immer tot, ist dumm. Wir bewegen uns zeitgeschichtlich in einer Endphase. Wenn Politik nicht mehr in der Lage ist, den herrschenden wirtschaftlichen Wahnsinn und die Probleme, die wir auf der Erde haben, unter Kon᠆trolle zu bringen, wird es zu anderen Formen kommen müssen.« Das sagt ein Einzelkämpfer, überzeugt davon, dass die Kunst, explizit das Menschenbild in der Kunst, eine Aufgabe hat auf einem zukünftigen Weg. Eine Wegstreiterin und Herzensfreundin für seine Botschaft ist die Bildhauerin Emerita Pansowová. Mit der Eröffnung ihrer Ausstellung beginnt das Sommerfest.

Emerita Pansowová stammt aus einer ungarischen Familie. Sie ist in der Slowakei aufgewachsen. Durch die Heirat mit dem Grafiker Jürgen Pansow kam sie 1966 in die DDR. Sie studierte an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, wurde Meisterschülerin bei Ludwig Engelhardt an der Akademie der Künste der DDR. In diesem Jahr ist sie siebzig Jahre alt. Die zierliche Künstlerin und ihre robusten Arbeiten wollen zunächst nicht zusammenpassen. Bei genauerem Kennen sind die Bronzen, Metallguss- und Granitfiguren aber so sensibel, bewegt, offen und stark wie die kleine Frau, die ihren Figuren zum Werden viel Zeit gibt. »Man kann den nächsten Schritt erst tun, wenn man weiß, dass man sich auf den voran gegangenen sicher stützen kann«, sagt sie.

Ihre Hinwendung zum Menschen ist das Zwiegespräch. Sie führt es mit jeder Figur, mit Andreas, mit Gret Palucca, mit dem Großen Sitzenden. Dabei möchte sie keine Störung. Man könnte meinen, sie ist gern allein. Das stimmt so nicht. Die Figur, die unter ihren Händen entsteht, ist aus totem Material, aus Ton, Metall oder Stein, aber für Emerita ist sie lebendig - setzt zum Sprung an, verbirgt den Kopf im Schoß, streckt die Arme zum Himmel. Ihre Zwiesprache schreibt Emerita auf Papier. So sind die Gedanken bewahrt.

Längst ist Emerita in die Riege der bedeutenden Bildhauerinnen des 20. Jahrhunderts eingereiht. Die Bronzen »Schreitende« und »Andreas« hat die Nationalgalerie gekauft. Die Große Palucca steht in Berlin auf dem Garnisonkirchplatz. Seit fünfzig Jahren lebt sie in Deutschland. Fünfundzwanzig Jahre in Ostdeutschland, fünfundzwanzig Jahre im vereinten Land. Sie hat hier ihre Arbeit, ihren Lebensgefährten Dietrich, ihre Freundschaften mit Antje Fretwurst, Nuria Quevedo, Heidrun Hegewald.

Es geht ihr gut. Ist das Glück? »Glück hat keine Dauer«, sagt sie. »Glück kommt für einen winzigen Moment zu dir. Ist dann weg. Aber es hat dich getroffen. So fühle ich, wenn ich jemanden slowakisch oder ungarisch sprechen höre. Das trifft mich noch nach 50 Jahren in Deutschland. So wie wenn für einen Augenblick eine Blume aufblüht.«

Stefan Behrens hatte die DDR-Künstlerin schon in den siebziger, achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Ostberlin entdeckt. Berlin-Ost war für Behrens der interessantere Teil der geteilten Stadt. Er kannte alle Museen, hatte Freunde in der DDR. Die großartigen Arbeiten von Emerita Pansowová, vom Kunstkritiker Jens Semrau gelobt als ungefällig und schroff, fielen ihm auf. Nun sind sie bis zum 18. August in der Villa am See zu sehen. Auf dem Hof die Granite, das Bodenrelief Lauschen, der Große Sitzende; in den Räumen Kleinplastik, Zeichnungen und Grafik. Die Kette der Ausstellungen in ihrem siebzigsten Jahr begann im Februar und sind mit dem Sommerfest noch nicht zu Ende.

Im Oktober ist in der Galerie Bernau gemeinsam mit der Malerin Heidrun Hegewald eine Ausstellung geplant. Dann ist an der Villa in Premnitz der Lavendel verblüht. Der Große Sitzende aber bleibt im Garten. Den Kopf in die Hände genommen, in Zweifel und Nachdenken versunken, der Rücken gestreckt, energisch und kraftvoll. Ein Körper in den Widersprüchen seiner existenziellen Situation, ein Zeitgenosse, gegenwärtig und unsterblich. Menschenbild in der Kunst.

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