Türkei: Kurz will Veto gegen weitere EU-Beitrittsgespräche

Österreich lehnt neue Verhandlungskapitel ab / Europapolitiker gegen Abbruch der Verhandlungen / Hunderttausende zur Erdogan-Aufmarsch erwartet

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Im Streit um die Beziehungen zwischen der Türkei unter dem Autokraten Recep Tayyip Erdogan und der Europäischen Union hat Österreichs Außenminister Sebastian Kurz nun noch einmal den Ton verschärft - und ein Veto gegen das Eröffnen weiterer Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei angekündigt. Im EU-Außenministerrat gehe es darum, ob neue Verhandlungskapitel mit der Türkei eröffnet würden - »da bin ich dagegen«, sagte Kurz der Zeitung »Kurier«. Kurz bekräftigte ferner, Bundeskanzler Christian Kern werde sich beim EU-Gipfel am 16. September bemühen, andere Staats- und Regierungschefs davon zu überzeugen, »dass der Beitrittsverhandlungsstopp mit der Türkei richtig ist«. Kern hatte bereits zuvor gesagt, die EU müsse ernsthaft einen Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei in Betracht ziehen. Ein Beitritt der Türkei zur EU sei »nur noch diplomatische Fiktion«.

Die türkische Regierung geht seit Wochen mit einer Welle der Repression und Verfolgung gegen angebliche Unterstützer des Putschversuchs von Mitte Juli vor und verfolgt dabei eine Politik der »Säuberung« gegen Kritiker, freie Medien und Wissenschaft, unliebsame Organisationen und Teile der Opposition. Nach Regierungsangaben wurden mehr als 60.000 Staatsbedienstete suspendiert oder entlassen. Mehr als 13.000 Verdächtige sind in Untersuchungshaft.

Der Europaparlamentarier Elmar Brok hat dennoch vor einem möglichen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche gewarnt. »Ein sofortiges Aussetzen der Verhandlungen wäre heute diplomatischer Unsinn«, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament der »Welt am Sonntag«. Gleichzeitig plädierte Brok dafür, der Türkei langfristig den Status zu gewähren, den auch Norwegen besitzt.

Auch die grüne Europapolitikerin Rebecca Harms warnte vor einem Abbruch der EU-Beitrittsgespräche. »Ich fände es verantwortungslos, wenn wir in dieser akuten Situation die bisherigen Beziehungen zur Türkei komplett aufgeben würden, ohne zu wissen, wohin wir wollen«, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament. Die Gespräche seien eine der wenigen Möglichkeiten des direkten Austausches auch zu Rechtsstaatlichkeit. Es müsse der EU darum gehen, zum Schutz vieler Türken auf Rechtsstaatlichkeit zu drängen. »Europa darf nicht die aufgeklärten, demokratieorientierten Türken, die sich auf die EU verlassen haben, im Stich lassen. Wir sollten auf Forderungen im Affekt verzichten«, sagte Harms.

Derweil mobilisiert Erdogan seine Anhänger erneut zu einer Großkundgebung in Istanbul. Dem Aufruf sollen Hunderttausende Teilnehmer folgen, wird erwartet. Bei der »Demokratie- und Märtyrer-Versammlung« wird der Staatschef der Hauptredner sein. Es ist die bislang größte Veranstaltung dieser Art seit dem Umsturzversuch vom 15. Juli. Auch Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der Mitte-Links-Partei CHP und der Vorsitzende der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, haben ihre Teilnahme angekündigt. Nicht eingeladen wurde die linke und kurdische HDP, obwohl sie sich ebenfalls gegen den Militärputsch gestellt hatte. Erdogan wirft der zweitgrößten Oppositionspartei im Parlament Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vor. Agenturen/nd

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