Geduldete nicht geduldet

Bundesregierung plant Auslese unter abgelehnten Asylbewerbern mit dem Ziel, Abschiebungen zu erleichtern

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Viele Jahre kämpften Organisationen und Parteien für ein Bleiberecht von Menschen in Deutschland, die ohne Aufenthaltsrecht und Perspektive hier lebten, deren Heimkehr aber aus rechtlichen Gründen nicht durchsetzbar ist. Die Abschiebung sogenannter Geduldeter ist nur ausgesetzt, dies allerdings oft viele Jahre lang. Sie sind gegenüber anderen Flüchtlingen benachteiligt - auf dem Arbeitsmarkt, bei der Ausbildung, in ihrem sozialen Status.

Irgendwann hatte sich die Erkenntnis auch in der Politik durchgesetzt: Das jahrelange Verbannen von Menschen in eine Schwebe zwischen Hoffnung und Abschiebung wirkt nicht nur auf die Betroffenen, sondern auch auf die Gesellschaft destruktiv, die einerseits Integrationsprobleme von Flüchtlingen beklagt und gleichzeitig Integrationshindernisse künstlich errichtet und aufrechterhält. So kam es im letzten Jahr zu einer Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz. Flüchtlinge erhalten Bleiberecht nach achtjährigem Aufenthalt, Familien mit minderjährigen Kindern nach sechs Jahren. Es ist an hohe Voraussetzungen gebunden, zum Beispiel ein eigenes Einkommen, und wird begleitet von einem verschärften Ausweisungsrecht. Weshalb Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl dieses heftig kritisierten. Aber es ist ein Bleiberecht, eine Chance für die Betroffenen.

Obwohl die Regelung erst ein Jahr alt ist, will die Bundesregierung sie offenkundig wieder kassieren - de facto. Das Bundesinnenministerium hat den Referentenentwurf einer Gesetzesnovelle zur Abstimmung in die Ministerien geschickt, um unter den Geduldeten jene zu identifizieren, deren Abschiebung trotz aller bisher rechtlich anerkannten Hindernisse am aussichtsreichsten erscheint. Grund hierfür dürfte die Entwicklung der Flüchtlingszahlen sein. Seit Mitte 2013 verdoppelte sich die Zahl der abgelehnten, aber geduldeten Asylbewerber in Deutschland. Der Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Frank-Jürgen Weise, gelangte deshalb zu einem anderen Schluss als Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Er sprach sich für die Einführung einer Stichtagsregelung aus. Wer eine bestimmte Frist der Ungewissheit überschritten hat, soll bleiben dürfen.

De Maizière geht den umgekehrten Weg - Abschiebungen erleichtern. In dem Gesetzentwurf seines Hauses ist vorgesehen, eine »Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht« für Geduldete einzuführen, deren Abschiebung von Faktoren verhindert wird, die der Minister nicht akzeptiert. Die Organisation Pro Asyl spricht von einer »Duldung zweiter Klasse«, die eingeführt werden soll.

Mit welchen Konsequenzen? Wer eine »Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht« erhält, soll dauerhaft von Integrationsmaßnahmen ausgeschlossen sein - Ausbildung, Arbeitsmarktzugang, Arbeitsfördermöglichkeiten. Der Anspruch auf ein dauerhaftes Bleiberecht soll ausgeschlossen sein. Von drohenden Fehlanreizen ist in dem Gesetzentwurf in diesem Zusammenhang die Rede. Die betroffenen Ausländer, so der Entwurf unter anderem, sollten »auch nicht die Aussicht auf ein Aufenthaltsrecht durch eine fachtheoretische Berufsausbildung erhalten«.

Möglicher Grund der Bestrafung durch Zuweisung in die Gruppe der nicht geduldeten Geduldeten wäre, wie bereits jetzt schon, eine fehlende Bereitschaft, an der eigenen Abschiebung mitzuwirken - bei der Beschaffung eines Passes zum Beispiel. Die Verfasser des Gesetzentwurfs argumentieren ganz unverblümt: Bleiberechtsregelungen dürften »nicht für Ausländer offen stehen, die ihre Abschiebung selbst verhindern.« Da Ausländern, die ihre Abschiebung unterstützen, Bleiberechtsregelungen erst recht nicht offen stehen, ist das Ziel klar. Es lautet: Abschiebung um jeden irgendwie zu rechtfertigenden Preis. Weshalb der Schluss von Pro Asyl lautet, es handele sich bei dem Entwurf um den Versuch einer »stillen Rückabwicklung« der Bleiberechtsregelung aus dem letzten Jahr.

Gänzlich fragwürdig wird diese Absicht in einem weiteren Punkt: Künftig soll es für eine Einordnung in die Gruppe der bevorzugt Abzuschiebenden sogar genügen, wenn der Herkunftsstaat sich weigert, einen Pass auszustellen. »Geduldete sollen für das Verschulden der Behörden ihrer Herkunftsländer haftbar gemacht werden und schlechter gestellt werden«, kritisiert Pro Asyl. »Vom persönlichen Verhalten des Betroffenen ist die Erteilung einer «Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht» dann nicht mehr abhängig.« Ein solches Vorhaben sei bereits im letzten Jahr geplant gewesen, aber schließlich doch nicht Gesetz geworden. Nun versuche Minister de Maizière offenkundig erneut, SPD und Parlamentarier zu überlisten und bereits verworfene Regelungen ins Gesetz zu schmuggeln, argwöhnt Pro Asyl.

Begleitet wird dies von Verschärfungen auch beim Vollzug der Abschiebung. Diese soll künftig ohne Ankündigung erfolgen können. Vorgesehen ist zudem, die Dauer einer möglichen Abschiebehaft von vier auf vierzehn Tage zu erhöhen.

Ziel sei es, die Betroffenen der »Duldung light« von allen Möglichkeiten auszuschließen, die langjährig Geduldeten bisher offen stehen, um ein Bleiberecht zu erhalten, stellt Pro Asyl fest. Das erst im letzten Jahr eingeführte Recht wird geschleift. »Die gesetzliche Bleiberechtsregelung für Geduldete bleibt auf dem Papier bestehen, sie soll aber in der Praxis nicht mehr wirksam sein«, meint Geschäftsführer Günter Burkhardt.

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