»Reaktionär, rassistisch«: Rufe nach Rücktritt von Oettinger

EU-Kommissar diffamiert in Hamburg Chinesen als »Schlitzaugen« - und findet das nur »salopp« / CDU-Mann buhlt mit »Pflicht-Homoehe« um Lacher

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Berlin. Als Digitalkommissar der EU sorgte Günther Oettinger immer wieder für Gelächter. Nun soll er das Haushaltsressort übernehmen. Zum Lachen ist das nicht - denn der CDU-Politiker hat gerade in einer Ansprache vor Unternehmern unter Beweis gestellt, wessen Geistes Kind er ist (Auszüge gibt es hier). Der linke Europaabgeordnete Fabio De Masi sprach von »einer ziemlich kaputten Rede« und sagte, man müsse sich »fremdschämen« für diesen Auftritt. Oettinger machte sich darin über eine chinesische Delegation lustig und buhlte mit einem Witz über die angeblich bald kommende »Pflicht-Homoehe« um Lacher bei den Zuhörern. Das Portal queer.de spricht von einer »einer reaktionären und rassistischen Ansprache«, die »vor allem ein reaktionäres Menschenbild« offenbar.

Inzwischen wird auch nach personellen Konsequenzen gerufen. Der Linken-Politiker Niema Movassat sagte, Oettinger »ist ein Rassist, Sexist und latent neoliberal. So jemand sollte nicht aufsteigen, sondern aufhören«. Der SPD-Politiker Sönke Rix sagte, »die rassistischen und homophoben Äußerungen« Oettingers »sind ekelhaft. So einer darf uns nicht bei der EU repräsentieren.« Die SPD-Generalsekretärin Katharina Barley meinte, »jemand, der offene rassistische und homophobe Ressentiments bedient, disqualifiziert sich für politische Spitzenposten«. Gegenüber dem Portal Spiegel online sagte sie, »Oettinger sollte mal dringend sein Weltbild überprüfen. Ein EU-Haushaltskommissar mit solchem Gedankengut könnte der ganzen EU Schaden zufügen.«

Die Rede sei aufgezeichnet worden, nachdem Oettinger mit Blick auf Chinesen von »Schlitzohren und Schlitzaugen« gesprochen haben soll. Diese Äußerungen wurden im Kurznachrichtendienst Twitter von einer Teilnehmerin der Veranstaltung bestätigt. Auch laut Sebastian Marquardt, der das Video aufzeichnete, äußerte sie Oettinger diffamierend über Chinesen. Der Verleger äußerte sich auf Facebook entsetzt über die Rede und sagte, er schäme sich, dass der CDU-Mann der deutsche Vertreter in der EU-Kommission ist. Als Marquardt nach der Rede Oettinger auf seine Ausfälle ansprach, tat dieser so, als verstehe er nicht. Ein hinter dem EU-Kommissar stehende Vertreter der Hafenbranche habe daraufhin zu dem Verleger gesagt, »es gibt nicht nur Gutmenschen«. Marquardt äußerte auch Kritik an den meisten anderen Zuhörern Oettingers, die mit Lachen und Beifall auf die abfälligen Zoten zustimmend reagierten.

Dass Oettinger in seiner Ansprache über »Wirtschaft und Solidarität im digitalen Zeitalter« ausgerechnet auf Werte zu sprechen kam, mag eine bittere Pointe des Abends gewesen sein. »Wollen wir unser Menschenbild mit einbringen in die globale Diskussion?«, so Oettinger. »Wollen wir nur S-Klasse oder wollen wir auch Werte exportieren?« Welche Werte der EU-Kommissar vertritt, ist spätestens seit seinem Auftritt am Donnerstag vor rund 200 geladenen Gäste bekannt.

Oettinger verteidigte sich inzwischen in der »Welt« mit den Worten, »das war eine etwas saloppe Äußerung die in keinster Weise respektlos gegenüber China gemeint war«. Man müsse zudem »den Gesamtzusammenhang sehen, in dem ich mich geäußert habe«. Zudem griff der CDU-Mann den Filmer des Videos an: »Wer diese Aufnahme gemacht hat, wollte nicht ein ganzheitliches Bild von mir zeichnen, sondern Teile ohne Zusammenhang präsentieren. Auf der Veranstaltung habe ich viel positiven Zuspruch bekommen.«

Der Satiriker Jan Böhmermann sagte, »Günther Oettinger ist atemberaubend doof, eine rhetorische Niete, fachlich inkompetent und unser Mann für Europa«. Beim Deutschlandfunk heißt es, »in jedem Fall hat Günther Oettinger unter Beweis gestellt, dass er – hätte es ihn nicht in die Politik verschlagen – ein hervorragender Bierzelt-Alleinunterhalter geworden wäre.« Der Europapolitiker De Masi sagte, »die Lacher bei Oettingers schlechten Witzen zeigen, wie geistig verarmt unser Geldadel ist. Unsere Rentner wühlen nach 40 Jahren Maloche im Müll und Luxusrentner Oettinger hält Vorträge über Arbeitsmoral.«

Oettinger soll in der EU-Kommission künftig das Haushaltsressort übernehmen. Da EU-Vizepräsidentin und bisherige Haushaltskommissarin Kristalina Georgiewa das Amt wegen ihres Wechsels zur Weltbank niederlege, habe er Oettinger gebeten, Georgiewas Posten zu übernehmen, erklärte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Freitag in Brüssel. Die Bekanntmachung rief in sozialen Netzwerken viel Kritik hervor. Nach seiner Zeit als baden-württembergischer Ministerpräsident war der CDU-Politiker Anfang 2010 in die EU-Kommission gewechselt. nd

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