Jeder vierte EU-Bürger von Armut bedroht

Bertelsmann-Studie: Armutsrisiko steigt bei immer mehr Vollzeitbeschäftigten / LINKE-Parteichef Riexinger: »So steht die EU kurz vor dem Kollaps«

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Berlin. In der Europäischen Union steigt das Armutsrisko immer weiter an. Immer mehr Menschen sind trotz eines Vollzeitjobs von Armut bedroht. Ihr Anteil unter den Vollzeitbeschäftigten in den EU-Ländern stieg von 7,2 Prozent im Jahr 2013 auf 7,8 Prozent im vergangenen Jahr, wie eine am Montag von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichte Untersuchung ergab. In Deutschland besteht trotz einer immer wieder propagierten »guten Lage« am Arbeitsmarkt ein ähnlich großes Risiko.

Das Armutsrisiko in der Union veränderte sich dagegen kaum. Noch immer waren laut der Untersuchung 23,7 Prozent der EU-Bürger von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht – das sind rund 120 Millionen Menschen. Im Jahr 2014 hatte der Wert mit 24,4 Prozent nur leicht höher gelegen. Besonders hoch waren die Anteile 2015 etwa in Griechenland (35,7 Prozent), Rumänien (37,3 Prozent) und Bulgarien (41,3 Prozent). Demnach gilt allgemein als arm, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens eines Landes zur Verfügung hat. Vergangenes Jahr lag dieser Wert für eine alleinstehende Person in Deutschland laut dem Statistischen Bundeamt bei 1033 Euro im Monat.

Der Anteil der von Armut bedrohten Vollzeitbeschäftigten stieg laut der Untersuchung hierzulande von 5,1 Prozent im Jahr 2009 auf 7,1 Prozent im vergangenen Jahr. Immerhin gab es demnach aber einen leichten Rückgang im Vergleich zum Jahr 2014 mit 7,5 Prozent. Dies deute auf erste Wirkungen des Mindestlohns hin, erklärte die Stiftung.

Der Anstieg der sogenannten working poor — also Menschen, die trotz Arbeit von Armut bedroht sind —bereitet den Studienautoren grundsätzlich große Sorgen. »Ein steigender Anteil von Menschen, die dauerhaft nicht von ihrer Arbeit leben können, untergräbt die Legitimität unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung«, erklärte der Vorsitzende der Stiftung, Aart De Geus.

Die Studie zeigt insgesamt eine leichte Erholung des Arbeitsmarktes in der Europäischen Union. Im Jahr 2015 waren demnach mit 215,7 Millionen Menschen fast zwei Drittel der Bürger (65,6 Prozent) erwerbstätig. Im Vorjahr lag der Anteil mit 64,8 Prozent etwas niedriger. Die Arbeitslosenquote sank von 10,4 Prozent auf 9,6 Prozent.

Gerade in Südeuropa drohen junge Menschen abgehängt zu werden. EU-weit sind 26,9 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahren von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. In Griechenland, Italien, Spanien und Portugal ist dagegen im Schnitt sogar jedes dritte Kind (33,8 Prozent) von Armut bedroht.

Der seit 2008 erhobene »Social Justice Index« der Stiftung hebt zwar unter anderem die mit 7,2 Prozent europaweit niedrigste Jugendarbeitslosenquote in Deutschland hervor. Er kritisiert aber zugleich das »nach wie vor hohe Armutsrisiko sowie Probleme bei der sozialen Durchlässigkeit im Bildungssystem«.

Der Stiftungsvorsitzende De Geus warnte vor diesem Hintergrund: »Die wachsende Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen spielt den erstarkenden populistischen Bewegungen in die Hände.«

LINKEN-Parteichef Riexinger warnte angesichts der jüngsten Zahlen vor drastischen Konsequenzen: »So steht die EU kurz vor dem Kollaps«, schrieb er via Twitter. Noch schneller als die Wirtschaft in der Union wachse die Armut, so Riexinger. AFP/nd

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