Die Poesie der Langeweile

Im Kino: »Paterson« von Jim Jarmusch

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Jim Jarmuschs poetische Farce »Paterson« ist eine Ode an die Spießigkeit, die schützende Routine, die beruhigende äußere Ordnung und das kleine Glück. Das ist ein wichtiges Plädoyer in Zeiten, in denen die Forderung nach »gesicherten Verhältnissen« von neoliberalen Propagandisten als langweilige, fast schon »feige« Nostalgie oder gar als teuerer Luxus verteufelt werden. Schließlich sollen wir uns doch »mutig« und mit Lust den zur »Freiheit« umgelogenen Unsicherheiten eines kaputtgesparten Staates »stellen« und sie als spannende »Herausforderungen« annehmen, anstatt uns »ewiggestrig« nach den »kuscheligen«, angeblich »rundumversorgenden« Verhältnissen der DDR oder der BRD der 70er Jahre zu sehnen. Da verwundert es nicht, dass viele neoliberal (v)erzogene Kritiker (auch dem Film gegenüber Wohlwollende) nun Jarmusch unterstellen, in »Paterson« die »heile Welt« der 50er Jahre glorifizieren zu wollen. Sie haben die eigenen billigen Losungen so verinnerlicht, dass sie »gesicherte Verhältnisse« mit Enge und Langeweile gleichsetzen.

Der Protagonist Paterson (Adam Driver) heißt wie die Stadt, in der er lebt. Er wacht um sechs Uhr auf, kuschelt mit seiner über-süßen Frau Laura (Golshifteh Farahani), absolviert seine Schicht als öffentlicher Busfahrer, quält sich abends höflich lächelnd Lauras verkorkste Gerichte rein, geht mit der englischen Bulldogge Gassi und trinkt ein Feierabendbier in der Kneipe nebenan. Diese für ihn scheinbar zutiefst befriedigende Abfolge bezeugen die Kinobesucher sieben Tage lang. Zwischendurch reflektiert Paterson seinen Alltag und dessen sehr konkrete Ausprägungen wie etwa verschiedene Streichholz-Fabrikate in kurzen Gedichten. Diese schreibt er in ein kleines Notizbuch. Sie reimen sich nicht und schrammen gerade so weit am kindischen Schund vorbei, dass sie uns ihren Autor sympathisch machen - wenn auch weniger aus Bewunderung, denn aus Rührung.

Laura dagegen ist geradezu eine Glücks-Terroristin, die von morgens bis abends einen überzuckerten und unerträglich gut gelaunten Aktionismus entfaltet. Dabei entwirft sie täglich einen neuen großen Lebensplan: als Country-Star, Konditorin oder als (furchtbar unbegabte) Innendekorateurin. Aber auch darum könnte es schließlich im Leben gehen: um die (auch materiell gegebene) Möglichkeit, herumzuspinnen, sich auszuprobieren und während dieses Prozesses eben nichts zu »leisten« - außer kleinen Glücksmomenten für sich und die Umwelt.

Wie in vielen anderen seiner Filme entdeckt Jim Jarmusch in »Paterson« für uns die Langsamkeit als den neuen Thrill, als ungewöhnliche und aufregende Erfahrung. Und wie in seinen besseren Filmen findet er auch hier den schmalen Pfad zwischen aufreizender Ereignislosigkeit, rührender menschlicher Intimität und plötzlicher, gerne auch alberner Situationskomik.

Es gibt wunderschöne Begegnungen mit liebenswerten und verschrobenen Großstadtcharakteren, es wird ein großer Respekt vor der Kunstform der Lyrik vermittelt - all das aber in einem Rahmen, der inhaltlich und filmisch-formal niemals eine strenge, überbetonte »Normalität« sprengt: Die Kameraeinstellungen sind unspektakulär, ruhig und lang, die Musik dezent, die Ausstattung stets von großer Gemütlichkeit, Adam Driver verkörpert den netten Normalo von nebenan beängstigend glaubwürdig, und die so entspannte wie multikulturelle Stadt Paterson erscheint als Gegenmodell zum aufgepeitschten Trump-Clinton-Staat.

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