Wir sind ein Teil von Pachamama!

In Argentinien versuchen indigene Gemeinden, das Wissen über traditionelle Bewässerungs- und Anbauformen zu bewahren, um weiter im Einklang mit der Natur zu leben

  • Lesedauer: 6 Min.
COAJ-Aktivistin Natalia Sarapura.
COAJ-Aktivistin Natalia Sarapura.

»Wenn eine Person krank wird, kann man sie heilen. Wenn aber das Wasser krank wird, kann man es dann heilen?«, fragen sich die indigenen BewohnerInnen im nordwestlichen Argentinien. Der Rat der indigenen Organisationen von Jujuy (COAJ) nimmt dieses Problem auf. Unterstützt vom Weltfriedensdienst, kümmert er sich um die rechtliche Absicherung des Wasserzugangs.

Für die Angehörigen indigener Völker, wie die der Kolla, Omahuaca oder Guaraní, ist der Zugang zu sauberem Wasser leider keine Selbstverständlichkeit. Sie bewohnen die entlegene argentinische Provinz Jujuy im Norden, von vielen ArgentinierInnen vergessen. Das Bewusstsein für die Nöte der Gemeindemitglieder fehlt. »Der Stadtbewohner öffnet einfach den Hahn und das Wasser fließt heraus, was aber macht der Dorfbewohner?« Die Region ist durch das karge Hochland, weite Ebenen und große Salzseen geprägt und schon jetzt vom Klimawandel betroffen.

Unzuverlässige Niederschläge und Wetterextreme sind die Folge. Verschmutzte Flüsse sowie Tendenzen zur Privatisierung des kostbaren Guts Wasser beeinflussen die Gemeinden zusätzlich negativ. Deren Überleben steht nun auf dem Spiel. Wie sollen die Bauern der Kolla ausreichend Lebensmittel ernten, wenn sie verschmutztes Wasser über ihre Pflanzen gießen müssen und diese dann von Pilzen befallen werden? Können Gemeinden der Guaraní ohne gesicherten Zugang zu sauberem Trinkwasser weiterhin bestehen und ihre Traditionen bewahren?

In einer von COAJ in Auftrag gegebenen Befragung der Mitglieder 260 indigener Gemeinden wird das ganze Ausmaß der Wasserproblematik erkennbar. Auf dem Weg zu den weit verstreuten Dörfern häufen sich die Bilder von Orten ohne Wasser, ausgetrockneten Flussarmen und Abwässern auf Weideflächen. Doch welche Ursachen führen dazu? Im Umland der Dörfer befinden sich immer weiter wachsende Städte. Das Gebiet ist auch aufgrund seiner Ressourcen begehrt, so dass der Wasserstand eines einst stolzen Flusses im Laufe der Zeit immer weiter absinken kann.

Auch die Wasserqualität leidet. An den Ufern des Flusses Río Labayen leben Familien, die größtenteils in der Landwirtschaft oder als TagelöhnerInnen ihr Leben bestreiten. In einer Untersuchung wurde von WissenschaftlerInnen Arsen im Wasser nachgewiesen, dessen Ursprung in einer nahe gelegenen Mine oder den Ölraffinerien der Stadt vermutet wird. Andere Gemeinden klagen über die Abwässer einer Kläranlage, die ihren ehemals blauen Fluss in einen gelben verwandelt haben.

In der indigenen Gemeinde von Puramarca ist wiederum weniger als ein Drittel der Häuser überhaupt an ein Abwassersystem angebunden. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen das Wasser des Flusses klar war und man ihn barfuß überqueren oder Fische angeln konnte. Nach wie vor widmen sich viele Bauern der Zucht von Lamas oder dem Anbau von Gemüse. Früher wurden selbstgegrabene Brunnen oder natürliche Quellen zur Bewässerung genutzt. Heute glauben viele Campesinos, nur durch den Einsatz von Pestiziden ihr Überleben sichern zu können.

Dabei möchten die Gemeindemitglieder eigentlich nur im Einklang mit der Natur leben. Sie verstehen sich als ein Teil der Pachamama, Mutter Erde, ohne dabei Besitzansprüche an die Natur zu haben. »Niemand kann Besitzer des Wassers sein, es weder kaufen noch verkaufen. Wie kann es sein, dass Menschen heutzutage entscheiden, ob du Zugang zu Wasser hast oder nicht? Der Mensch besitzt nichts in der Natur«, unterstreichen sie. Was aber, wenn örtliche Finca-BesitzerInnen mehr Macht haben und den Wasserverbrauch in den umliegenden Gemeinden regeln dürfen, ohne die Indigenen einzubeziehen ? Oder wenn die örtliche Umweltbehörde auch nach jahrelangen Berichten über verschmutztes Wasser keine Lösung anbietet? Einige Indigene sehen für die Zukunft daher schwarz: »Wie können die Guaraní ohne das Wasser leben?«, fragen sie verzweifelt.

Der Zugang zu Wasser ist ein Menschenrecht. Das Element hat aber eine noch viel weitreichendere Bedeutung. Wasser, das ist auch ein spirituelles Gut, welches einen wichtigen Teil der Kultur indigener Völker darstellt. Das Fiscara- Volk beispielsweise würdigt die Großmutter Wasser in einer alten Zeremonie. Alle TeilnehmerInnen der umliegenden Gemeinden werden eingeladen und feiern zusammen. Sie verstehen sich dabei als ein Teil der natürlichen Umwelt. Die Guaraní erzählen außerdem, dass sie Fische nie zum reinen Vergnügen fangen, sondern den Fluss vorher um Erlaubnis bitten. Leider geraten viele Zeremonien und Rituale immer mehr in Vergessenheit, genau wie das Wissen zu traditionellen Bewässerungs- und Anbauformen. Viele Jugendliche ziehen in die Städte, nur die Älteren bleiben in den Dörfern zurück. Die Herausforderungen für die Zukunft sind also groß. »Was wird mit dieser Gemeinde, mit uns, die wir hier leben, geschehen?«, fragen sich viele Indigene. Wie soll es weitergehen?

COAJ im Norden Argentiniens steht für Rechte indigener Völker ein. In langjähriger Zusammenarbeit mit dem Weltfriedensdienst hat COAJ schon einige Erfolge bezüglich der Landrechte indigener Gemeinden gefeiert. Erste Landtitel wurden dabei erstritten. Dennoch: Es ist noch ein weiter Weg. Der Norden Argentiniens steht ungebrochen im Fokus wirtschaftlicher Interessen. Die Salzseen der Region bilden eine wichtige Ressource für die Herstellung elektrischer Autobatterien: Lithium. Leider werden bei der Gewinnung immense Wassermengen verschwendet. Es ist also weiterhin essenziell, dass indigene Gemeinden bei entsprechenden Vorhaben im Voraus konsultiert und nicht einfach übergangen werden. Natalia Sarapura ist Staatssekretärin für indigene Angelegenheiten und setzt sich bei COAJ bereits seit ihrer Jugend für mehr indigene Sichtbarkeit in Jujuy ein. Dabei ist ihr wichtig, dass die indigenen Gemeinden ihren eigenen Weg finden und sich weiterentwickeln, ohne dabei ihre Identität aufzugeben.

In Zusammenarbeit mit dem Weltfriedensdienst wurde ein Ausbildungszentrum für Indigene geschaffen. Dort lernen sie ihre Rechte kennen und reaktivieren traditionelles Wissen, das den Gemeinden zugute kommt - auch in Bezug auf die Wasserproblematik. Zuerst wurden Analysen angestellt und Fortbildungen zum Pflanzenschutz sowie zur Wassergewinnung durchgeführt. Dann ging es an die Arbeit: Alte Bewässerungskanäle wurden repariert oder wieder aufgebaut. Im Hochland wurden Quellen rehabilitiert und heilige Stätten neu aufgeforstet. Eine Gemeinde wurde bei der Trinkwassergewinnung unterstützt. Mindestens einmal jährlich werden in jeder Region nun Märkte für Saatgut und Tiere abgehalten, die resistent gegen die Folgen des Klimawandels sind. In der Gemeinde der Fiscara wurde eine Zeremonie, die bereits in Vergessenheit geraten war, wiederbelebt. Die Initiative übernahm Dorfbewohner Hugo, der bei der Rückkehr aus der Stadt kaum Jugendliche und fast kein Wasser mehr vorfand. Er beschloss, die Zeremonie für die Großmutter Wasser wieder abzuhalten. Das bewirkte in der Gemeinde ein neues Bewusstsein für altes Wissen und kollektiven Zusammenhalt. Inzwischen sprudelt wieder frisches Süßwasser aus den Quellen.

»Der Mensch ist ein integrativer Teil der Natur«, so Sarapura, die für ein alternatives Wirtschaftsmodell plädiert. Die COAJ-Aktivistin und die indigenen Gemeinden in Jujuy haben noch einen weiten Weg vor sich. Sie werden sich aber weiterhin für ihren Wunsch nach einem Leben in Einklang mit der Umwelt einsetzen. Dabei spielt Wasser eine bedeutende Rolle - es ist ein unveräußerliches Menschenrecht.

Nach Ansicht der Indigenen, kann der Mensch die Natur nicht besitzen – er ist nur ein Teil von ihr.
Nach Ansicht der Indigenen, kann der Mensch die Natur nicht besitzen – er ist nur ein Teil von ihr.
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