Smarte Stadt beteiligt die Bevölkerung, nicht die Konzerne

Francesca Bria aus Barcelona im Gespräch über Strategien, um über die gängigen Vorstellungen von »Smart City« hinauszugehen

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 4 Min.

Francesca Bria ist seit Juni Beauftragte für Technologie und digitale Innovation der Stadt Barcelona, wo ein von Basisbewegungen geprägtes Bündnis regiert. Vorher lebte die promovierte Expertin für digitale Wirtschaft und direkte Demokratie in London, wo sie neben Forschung und Lehre am Imperial College auch EU-Institutionen beriet. Am Samstag stellte sie den alternativen Ansatz Barcelonas bei der Digitalisierung städtischer Infrastruktur auf der »Unboxing«-Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin vor.

Sie wurden erst in diesem Jahr zur Beauftragten für Technologie und digitale Innovation, aber Barcelona wird schon eine ganze Weile als Europas führende »Smart City« bezeichnet. Wann und von wem wurde die Stadt so getauft?
2008 setzte die damalige sozialdemokratische Stadtregierung eine Innovationsstrategie um und schuf das Stadtviertel 22@, wo Technologiefirmen neue Produkte entwickeln konnten. Zudem wurde ein stadtweites Glasfasernetz errichtet, um interne und externe Prozesse der öffentlichen Verwaltung zugänglicher, effizienter und transparenter zu machen. Allerdings war die Vision von »Smart City«, die der dann folgende konservative Bürgermeister verfolgte, von den Verkaufsstrategien großer IT-Hersteller diktiert. Der Fokus lag auf dem Einsatz unternehmenskontrollierter Technologie, nicht auf der Lösung langfristiger städtischer Herausforderungen wie Einkommensungleichheit, Klimawandel, Mangel an bezahlbarem Wohnraum und Jugenderwerbslosigkeit. Nicht einmal die Verwaltung selbst verstand die Implikationen all der Dienstleistungsverträge. Die Folgen waren ein Ansteigen der öffentlichen Verschuldung, ein Gefangensein in den Systemen der großen Hersteller und öffentliche Daten im Besitz dieser Firmen. Das verhindert langfristig sowohl die demokratische Kontrolle über öffentliche Ressourcen als auch alternative datenbasierte Lösungen.

Wie geht Bürgermeisterin Ada Colau über dieses Verständnis von »Smart City« hinaus?
Wir verfechten ein viel breiteres Verständnis. Wir beziehen alle städtischen Dienstleistungen ein, wie Energie- und Wasserversorgung, Nahverkehr, Müllbeseitigung, Straßenbeleuchtung und Parkplatzangebot. Dort ist die Digitalisierung eingezogen. Laut einer IBM-Studie von 2013 steckt in »Smart Citys« ein Marktpotenzial von 28 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Wir wollen, dass die Technologie ein Instrument für die Menschen und die Städte ist. Innovationen sollen von unten kommen, von der Öffentlichkeit. Barcelona will den Wandel zu technologischer Souveränität anführen. Sie würde der Regierung und der Öffentlichkeit erlauben, Prioritäten zu setzen und Technologien auszuprobieren. Die Stadt muss sich Wissen zum Führen einer Stadt wiederaneignen, das derzeit in den Händen einiger weniger Firmen ist. Technologische Souveränität soll durch die Anwendung quelloffener Software und offener Standards zudem neue ökonomische Modelle und den Wissensaustausch zwischen Städten ermöglichen. Im November haben wir dazu den »Plan Digitale Stadt« veröffentlicht.

Wie hat Ada Colau als Bürgermeisterin digitale Demokratie eingesetzt, und wie hat es funktioniert?
Bürgerbeteiligung im großen Stil ist eines unserer Kernanliegen. Wir haben dafür die digitale Plattform »Decidim« (katalanisch für: »Wir entscheiden«) aufgesetzt. Sie erlaubt es der Bevölkerung, Vorschläge zur Politik und der Verwendung öffentlicher Mittel zu machen, sowie über sie abzustimmen. Demokratischer Wandel braucht aber sowohl Online- als auch Offline-Engagement. Zu Beginn von Ada Colaus Amtszeit nahmen 20.000 Menschen am Prozess der Politikplanung teil. In allen Vierteln wurden große Versammlungen abgehalten. Über 40.000 Vorschläge wurden eingereicht und abgestimmt. Die beliebtesten haben wir in unseren Regierungsplan aufgenommen. Der Haushalt der Stadt steht nun detailliert im Internet. Online-Demokratiewerkzeuge sollten auch von anderen Städten und Organisationen angewandt werden. Wir teilen unsere Werkzeuge mit anderen Städten in Spanien und Europa.

In Berlin wird bald eine neue Stadtregierung die Arbeit aufnehmen. Inwieweit kann sie Ihrem Beispiel folgen?
Wir können das Ziel teilen, wirklich die BürgerInnen in den Mittelpunkt zu stellen. Städte können zusammenarbeiten, um die Kraft digitaler Technologie zum Wohl aller einzusetzen. Die Digitalisierung muss mit partizipatorischen Prozessen einhergehen. Barcelona und Berlin können da sehr zusammenarbeiten und eine starke Wirkung haben.

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