Aufarbeitung hat erst begonnen

Kommission hört Missbrauchsopfer an / Betroffene warten auf Entschädigungen

  • Lesedauer: 2 Min.

Berlin. Zwei Stunden dauern die Anhörungen, manchmal länger, und es sind »erschütternde Gespräche«, sagt die frühere Missbrauchsbeauftragte Christine Bergmann: »Man muss oft tief Luft holen.« Am Dienstag zog Bergmann in Berlin eine erste Bilanz der bisherigen Arbeit der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, gemeinsam mit der Frankfurter Kinder- und Jugendforscherin, Sabine Andresen, die das Gremium leitet.

Die Kommission hat damit begonnen, Betroffene anzuhören. Mehr als 400 Menschen haben sich bisher für vertrauliche Anhörungen gemeldet, 40 wurden Andresen zufolge seit September angehört. Erstmals befasst sich mit der deutschen Aufarbeitungskommission ein solches Gremium auch mit dem sexuellen Missbrauch im familiären Umfeld.

Für Bergmann ist die Kommission die Fortsetzung ihrer früheren Arbeit, als sich nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsskandale 2010 und der jahrzehntelangen Vertuschung Tausende an das Hilfetelefon ihrer damaligen Geschäftsstelle wandten. Damals sei klar gewesen, die Aufarbeitung habe noch gar nicht begonnen, sagt Bergmann, die zuvor Frauensenatorin in Berlin und Bundesfamilienministerin war.

Die Anhörungen zeigten nun, dass die Betroffenen weiter auf Entschädigungen warteten und berichteten, wie schwer sie es haben, Therapien und Hilfen zur Bewältigung der Missbrauchsfolgen zu bekommen, kritisiert Bergmann. Das Opferentschädigungsgesetz, das längst hätte reformiert werden sollen, hilft ihnen bis heute nicht. Bergmann sagt es nicht, aber zuständig ist ihr SPD-Parteikollege, Bundesjustizminister Heiko Maas. Immerhin hat der Bund den Hilfsfonds verlängert, der eigentlich schon nach drei Jahren hätte auslaufen sollen.

Kritik übten die Kommissionsmitglieder am Berliner Senat, der einer Studie zufolge in den 70er Jahren Pädophile als Pflegeväter für Straßenjungen eingesetzt haben soll. Der Senat müsse mehr für die Aufarbeitung dieser Fälle tun. Das gelte auch für Vorwürfe im Zusammenhang mit der hessischen Odenwaldschule, in der Schüler in den 70er und 80er Jahren regelmäßig missbraucht wurden. Dorthin sollen Berliner Jugendämter Problemkinder geschickt haben.

Der Bund finanziert die Aufarbeitung mit 1,4 Millionen Euro im Jahr. Die Kommission kann bis 2019 arbeiten. Andresen sagte, das Geld und die Kapazitäten reichten für 500 Anhörungen. Sie rechne aber damit, dass sich mehr Menschen meldeten. Agenturen/nd

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