Die smarte Farm

Digitalisierung der Landwirtschaft ersetzt Erfahrung durch Big Data

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 8 Min.

»Jede Kuh verdient Aufmerksamkeit.« Mit diesen Worten wirbt der Landmaschinenhersteller Lely für sein T4C-Managementsystem. T4C steht für »Time for Cows« (Zeit für Kühe). Über eine App kann der Landwirt jede Minute im Leben der Kühe teilen: Ständige Datensammlung über Mikrochips zeigt an, wie es der Kuh geht: Liegt das Tier oder läuft es? Frisst es ausreichend oder zu viel? Hat es genug getrunken? Gibt es Anzeichen für Krankheiten? Kommt das Kalb?

Doch nicht nur das Leben im Kuhstall wird mehr und mehr von Algorithmen bestimmt, auch im Ackerbau schreitet die Digitalisierung voran. Vieles ist bereits im Einsatz, wie etwa Hightech-Mähdrescher, die per GPS-Unterstützung zentimetergenau Getreidefelder abernten. Mit Big Data soll die Automatisierung jedoch weiter vorangetrieben werden. Beispiel BoniRob: Der Roboter wurde von der Universität Osnabrück, dem Landmaschinenhersteller Amazone sowie dem Maschinenhersteller Bosch entwickelt. In Werbefilmen bewegt sich BoniRob wie ein überdimensionierter Krebs übers Feld. Der Auftrag des Erntehelfers aus Stahl und Elektronik: Unkraut erkennen und vernichten, Pestizide punktgenau und Dünger nach individuellem Befinden der Pflanze ausbringen. Der Traum der Ingenieure: Roboterschwärme bewirtschaften die Felder autonom.

Big Data in der Landwirtschaft

Präzisionslandwirtschaft (»Precision Farming«) ist ein Sammelbegriff für neue Produktions- und Managementtechniken im Pflanzenbau. Grundlage sind über Satelliten, Sensoren oder Geoinformationssysteme erhobene Daten über den jeweiligen Standort und Pflanzenbestand. Ziel des »Präzisionsackerbaus« ist es, die Unterschiede des Bodens und der Ertragsfähigkeit innerhalb eines Feldes zu berücksichtigen.

Die Positionen der Bearbeitungsmaschinen werden auf den Flurstücken erfasst und die Maschinen wiederum erfassen und dokumentieren die Kennwerte (zum Beispiel Ertrag) schon während der Bearbeitung. Diese Daten werden dann ausgewertet und die anschließende Bodenbewirtschaftung, zum Beispiel die Düngung, kann darauf abgestimmt werden. Die kleinräumige Boden- und (Pflanzen-)Bestandsführung soll eine gezieltere Saat bzw. Düngung ermöglichen und damit zu Einsparungen bei Betriebsmitteln und einer ökologischen Entlastung durch geringeren Einsatz von Herbiziden und mineralischen Düngern führen.

In der Tierhaltung geht die Entwicklung weit über den bekannten Melkroboter hinaus. Hier spielen besonders die computergesteuerte Futterberechnung sowie eine durch Mikrochips gesteuerte Überwachung der Tiergesundheit eine Rolle. nd/had

Menschliche Erntehelfer werden durch BoniRob und andere Roboter überflüssig. In der Realität wird diese Technik noch nicht flächendeckend eingesetzt, noch wird geforscht, noch werden Daten gesammelt. Doch schon im Jahr 2018 könnte die kommerzielle Markteinführung im großen Stil erfolgen, so die Hersteller.

Weiter ist die Entwicklung bei den Drohnen zur Feldüberwachung. Aus der Luft können nicht nur vermeintliche Löcher im Zaun entdeckt werden, Drohnen können auch Schlupfwespen zur Bekämpfung des Maiszünglers aussetzen oder Rehkitze vor dem Mähdrescher bewahren. Mit Hilfe von Infrarotaufnahmen können die Landwirte zudem feststellen, wo sich kranke Pflanzenbestände befinden. Denn gesunde Pflanzen reflektieren die Infrarotstrahlung, während kranke Pflanzen dies nicht tun. Damit werden kranke Bestände sichtbar, bevor die Blätter vor dem bloßen Auge welk werden, und der Landwirt kann eingreifen. Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Agrartechnik und Bioökonomie in Potsdam forschen etwa an der individuellen Erfassung von Apfelbäumen. Ihr Ziel: Die Bewässerung und Düngung von Obst und Früchten soll zukünftig punktgenau und präzise den individuellen Bedürfnissen des einzelnen Baums angepasst werden. »Wir wollen herausfinden, in welcher Phase sich eine Pflanze befindet, um dann präzise bewässern zu können - wir nennen das Präzisionsgartenbau, den wir in den kommenden Jahren voranbringen wollen«, erklärt Projektleiterin Manuela Zude-Sasse.

Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Bauernverbandes (DBV) und des IT-Verbandes Bitkom gehen 45 Prozent der Landwirte davon aus, dass der Einsatz von Drohnen im Jahr 2030 weit verbreitet sein wird. 43 Prozent der Befragten sehen den Einsatz autonomer Feldroboter als sehr weit verbreitet oder eher verbreitet an, bei den fahrerlosen Traktoren liegt die Zahl sogar knapp unter 50 Prozent. Der Deutsche Bauernverband selbst sieht noch zahlreiche Hindernisse, die »aus dem Weg geräumt werden müssen«. Dazu zählten etwa das Problem unzureichenden schnellen Internets auf dem Land, aber auch der fehlende Zugang zu Daten: Satelliten, Wetter, Kataster. Digitale Landwirtschaft ist von Daten abhängig und damit auch von den Unternehmen, die diese verarbeiten und für den praktischen Gebrauch anbieten. Daten wecken jedoch auch immer Begehrlichkeiten, mangelnder Datenschutz ist laut Studie eine Sorge, eine andere die staatliche Kontrolle.

»Langfristig wird die digitale Landwirtschaft die gesamte Agrartechnologie revolutionieren - Bit für Bit«, fasst Michael Schlemmer, Projektmanager bei Bayer, die Vision in einer Firmenbroschüre zusammen.

Bei der geplanten Übernahme vom US-Saatgutkonzern Monsanto durch den Multi aus Leverkusen spielt diese Vision eine entscheidende Rolle. Beide Unternehmen wollen führend werden in der digitalisierten Landwirtschaft der Zukunft. Und sie haben hier bereits kräftig investiert. 2013 kaufte Monsanto für rund eine Milliarde Dollar die kalifornische Climate Corp - der bislang größte Deal im Bereich digitale Landwirtschaft. Das Geschäftsmodell des Start-ups basiert darauf, hochspezifische Wetter- und andere Daten zu liefern, mit deren Hilfe Landwirte ihren Anbau optimieren können. Im Dezember 2015 übernahm Bayer Teile von proPlant, das fortan unter dem Namen Bayer Digital Farming GmbH firmiert. Mit dem Anbieter von Diagnose- und Warndiensten will das Unternehmen »neue digitale Lösungen für eine nachhaltige ressourceneffiziente Agrarproduktion entwickeln«, sagte Liam Condon, Vorstandsmitglied von Bayer. Inzwischen steht die Übernahme kurz bevor. Während sich die Kritik an dem Deal bisher hauptsächlich an Monsantos Gentechnikstrategie entzündet, hat Bayer nach dem Kauf angekündigt, auf digitalisierte Landwirtschaft zu setzen. In der »Welt am Sonntag« kündigte Condon an: »Wir wollen technologisch immer einen Schritt voraus sein.« Laut dem kanadischen Verfechter für freies Saatgut, Pat Mooney macht, macht auch John Deere, das weltweit größte Landtechnikunternehmen, gemeinsame Sache mit Bayer und Monsanto. »Sie haben bereits Arrangements für die nächsten Schritte der Zusammenarbeit getroffen. Sie benutzen dieselben Argumente, die sie jetzt schon für ihre Firmenpolitik nutzen: ›Der Welthunger verlangt es, der Klimawandel verlangt es, wir müssen mit Größe auf die Herausforderungen reagieren, lasst uns die Vorteile von Big Data nutzen, um alles zusammenzufügen.‹«

Die großen Agrarunternehmen - Hersteller von Dünger, Saatgut und Unkrautvernichtern ebenso wie große Landmaschinenhersteller - wollen den Anschluss bei dem Milliardenmarkt nicht verpassen. Denn die Umsatzzahlen bei den Landmaschinen sind rückläufig und wenn durch Präzisionslandwirtschaft Dünger eingespart wird, muss auch dieser Verlust ausgeglichen werden. Firmen, die sich auf die Entwicklung von Drohnen, Robotern und Software spezialisiert haben, sammelten 2015 insgesamt 661 Millionen Dollar ein. Während unzählige Start-up-Firmen Algorithmen für Farm-Management-Software entwickeln und damit viel Geld verdienen, könnten ihre Zahlen einbrechen. Deshalb gehören die etablierten Agrarkonzerne selbst zu den größten Investoren in die digitale Landwirtschaft.

Den Landwirten wird mehr Effizienz - also letztlich mehr Gewinn - versprochen. »Je größer der Hof, desto höher ist das Einsparpotenzial«, erklärt Vorstandschef Klaus Josef Lutz vom Agrarhändler BayWa. Das Unternehmen bietet Software für detaillierte Feldbeobachtungen: Weniger Pestizideinsatz und genauere Verteilung des Saatguts sollen die Kosten verringern.

»Für uns ist das nichts«, ist die vorherrschende Meinung bei befragten Landwirten, gerade in Deutschland sind die bewirtschafteten Flächen im weltweiten Vergleich eher klein. Denn allein die Anschaffungskosten sind hoch. Das Büro für Technikfolgenabschätzung des Bundestages (TAB) vermutete bereits 2005, Digitalisierung im großen Stil lohne sich wirtschaftlich »meist nur beim Einsatz in Betrieben mit mehreren hundert Hektar« oder bei Maschinengemeinschaften mehrerer Betriebe. Das gilt für konventionelle Betriebe ebenso wie für ökologische Bewirtschaftung.

Effizient ist allerdings das Zeitmanagement. So beschreiben Landwirte, deren Kühe automatisch gemolken werden, sie hätten jetzt Zeit für das gemeinsame Frühstück, weil sie am Morgen nicht mehr stundenlang im Stall stehen müssten. Das klingt entspannt. Gleichzeitig aber werden Arbeitsplätze eingespart, wenn die Ernte vom Roboter erledigt wird und das Melken vom Automaten. Kein neuer Trend: Belief sich die Zahl der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft 1980 noch auf fast 2,8 Millionen, waren es 2003 nur noch etwas mehr als 1,3 Millionen Menschen. Seitdem sinkt die Zahl jährlich weiter um etwa ein Prozent.

Der Rückgang der Arbeitsplätze ist eine Folge des Strukturwandels und der technischen Möglichkeiten, große Flächen effizient bewirtschaften zu können. Während die Zahl der Arbeitsplätze abnimmt, steigt die Hektarzahl pro Betrieb in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich. Die Digitalisierung wird diesen Trend verschärfen.

Auch das Berufsbild ändert sich. Experten gehen davon aus, dass hauptsächlich junge Landwirte auf den Zug der Digitalisierung aufspringen werden, »denen der Beruf sonst zu langweilig erscheint«, wie Mark Davis, stellvertretender Direktor bei der Welternährungsorganisation, kürzlich in einer Diskussion zur Zukunft der Landwirtschaft konstatierte. Gleichzeitig ist der Landwirt selbst nicht mehr Experte seines Ackers - schließlich gelten die Daten als oberste Entscheidungsinstanz. Das eigene Wissen tritt in den Hintergrund.

Ob die Veränderung vom Bauern zum IT-Anwender allerdings so reibungslos vonstatten geht, kann bezweifelt werden. Ständige Weiterbildung ist eine Voraussetzung, ein verändertes Selbstbild eine andere. »Bevor ich das Managementsystem genutzt habe, basierten alle meine Entscheidungen auf persönlicher Erfahrung. Jetzt fühle ich mich den Kühen näher und fühle mich sicherer in meinen Entscheidungen«, wird ein Landwirt aus Italien in einem Werbefilm zitiert. Das klingt wie bei Menschen, die Self-Tracking-Methoden nutzen und froh sind, nicht mehr von Ärzten oder der Meinung von Freunden abhängig zu sein: Argumentiert wird mit der Objektivität der Daten statt eigener Einschätzung oder dem Rat anderer Menschen.

Auch das TAB sieht die Rolle des Menschen bei der Steuerung hoch automatisierter Agrartechnik zwiespältig: »Einerseits wird er zum passiven Anlagenüberwacher degradiert, andererseits richten sich an ihn hohe Erwartungen, wenn kritische Situationen oder Störfälle auftreten«, heißt es in einem Bericht. Oder wie ein Landwirt auf der Landmaschinenmesse Agritechnika 2015 sagte: »Mit digitalen Sachen ist das so eine Sache. Mitdenken ist auch nicht so verkehrt.«

Wie sich die Digitalisierung auf die Gesellschaft auswirkt, ist in der Landwirtschaft ebenso unklar wie in der restlichen Arbeitswelt. In einem Ausschuss des Europaparlaments war 2016 davon die Rede, dass wir »an der Schwelle einer Ära« stehen, in der »immer ausgeklügeltere Roboter, Bots, Androiden und sonstige Manifestationen Künstlicher Intelligenz anscheinend nur darauf warten, eine neue industrielle Revolution zu entfesseln, die wahrscheinlich keine Gesellschaftsschicht unberührt lassen wird«.

Momentan geht es bei der Landwirtschaft um Automatisierung, die Maschinen können noch nicht im Sinne künstlicher Intelligenz selbst planen und entscheiden. In 20 Jahren werde es Maschinen geben, die autonom auf dem Acker fahren, sagt Hans Griepentrog von der Universität Hohenheim. Auch Entscheidungshilfen in betrieblichen Fragen könnten per Algorithmus erstellt werden, aber »der Betriebsleiter entscheidet weiter, was richtig ist«. Doch eins dürfte klar sein: Die Abhängigkeit von Technik und damit von Unternehmen steigt. Ein Systemwandel beziehungsweise die Agrarwende ist das nicht.

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