Warum Racial Profiling die Menschenwürde verletzt

Nach Polizeigesetz erlaubt, vom Grundgesetz nicht gedeckt: Das Kontrollieren allein aufgrund äußerlicher Merkmale ohne Anfangsverdacht

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 4 Min.

Die allgemeine Verdächtigung nordafrikanischer junger Männer in der Silvesternacht hat zu einer neuen Debatte über »Racial Profiling« geführt. In Deutschland auch »Ethnisches Profiling« genannt, bezeichnet der Begriff ein auf Stereotypen und äußerliche Merkmale basierendes Agieren von Polizei-, Sicherheits-, Einwanderungs- und Zollbeamten. Personen werden demnach anhand von Kriterien wie »Rasse«, ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder nationaler Herkunft verdächtigt – und nicht anhand von konkreten Verdachtsmomenten. Der Ausdruck entstammt der US-amerikanischen Kriminalistik.

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 findet Racial Profiling aber nicht nur dort vermehrt Anwendung. Damit einhergehend wuchs auch die Kritik an der Methode, die als diskriminierend und ineffektiv abgelehnt und als Teil eines institutionellen Rassismus betrachtet wird. In mehreren Staaten, darunter den USA und Großbritannien, ist Racial Profiling verboten. In Deutschland gibt es zwar keine explizite juristische Regelung, allerdings gilt der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz. Das Europäische Netzwerk gegen Rassismus sieht deshalb in Racial Profiling einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

2012 stufte das Verwaltungsgericht Koblenz die Praxis im Fall einer Personenkontrolle in einem Zug als legal ein, allerdings wurde das Urteil in höherer Instanz vom Oberverwaltungsgericht für wirkungslos erklärt, nachdem beide Parteien nach einer Entschuldigung der Behörde das Verfahren für erledigt erklärten.

Nach Polizeigesetz erlaubt, vom Grundgesetz nicht gedeckt

Die Polizei in Deutschland beruft sich auf das Bundespolizeigesetz, um Personen aufgrund ihrer Hautfarbe zu verdächtigen und zu kontrollieren. Das Deutsche Institut für Menschenrechte veröffentlichte 2013 eine Studie, nach der »rassistische Personenkontrollen« durch § 22 Abs. 1 des Bundespolizeigesetz zwar gedeckt seien, allerdings verstoße dieses Gesetz gegen das Grundgesetz und internationale Verträge und müsse deshalb abgeschafft werden.

Die Europäische Union ist da einen Schritt weiter und verbietet die Praxis explizit. Der Nichtdiskriminierungsstandard der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) untersagt die Diskriminierung anerkannter Rechte wie jener auf Privatleben, Freizügigkeit, Religionsfreiheit und Freiheit von grausamer, unmenschlicher Behandlung. Gemäß dem aus der EMKR-Rechtsprechung resultierenden »Diskriminierungstest« liegt eine verbotene Diskriminierung gegen jemanden vor, wenn zwei Personen, die dieselben Voraussetzungen erbringen, anhand eines verbotenen Grundes ohne objektive, angemessene Begründung ungleich behandelt werden.

Die Suche nach Tätern aufgrund einer Täterbeschreibung ist legitim

Dabei gilt es eine Unterscheidung zu treffen zwischen Racial Profiling und Kriminalistischem Profiling. Denn das Verhindern und Aufdecken von Verbrechen und Terrorismus sowie die dazugehörigen Ermittlungen sind legitime Ziele der Polizeiarbeit und staatliche Schlüsselfunktionen. Dazu gehört das Erstellen von Verdächtigenprofilen, wofür die Polizei Opfer- und Zeugenaussagen nutzt. Kernstück einer solchen Verdächtigenbeschreibung ist das persönliche Erscheinungsbild, zu dem fast immer auch ethnische Merkmale gehören. Ein Tatverdächtiger kann als »weiß, männlich, circa 1.80 Meter groß, schmächtig, graue Haare, trug zum besagten Zeitpunkt eine Lederjacke und blaue Jeans …« beschrieben werden.

Sind Verdächtigenbeschreibungen zu allgemein, besteht die Gefahr, dass sich die Polizei auf Personen konzentriert, die derselben ethnischen Gruppe wie der gesuchte Verdächtige angehören und diese dadurch einem Pauschalverdacht unterwerfen, sie also diskriminieren. Damit verstärkt die Praxis den alltäglichen Rassismus. Nicht nur wird über die polizeilichen Kontrollen im öffentlichen Raum bei Außenstehenden der Eindruck erweckt, dass Kontrollen der »anders aussehenden Menschen« bestimmt nicht grundlos seien. Auch werden bei verdachtsunabhängigen Kontrollen häufig kleinere Verstöße festgestellt, die unter der unspezifischen Rubrik Ausländerkriminalität veröffentlicht werden. Soll heißen: Wer in der Silvesternacht nur Nordafrikaner untersucht, wird auch nur bei Nordafrikanern Gesetzesverstöße feststellen.

Racial Profiling hilft nicht bei der Suche nach Tätern

Ein weiterer Kritikpunkt lautet, dass Racial Profiling weder effizient noch effektiv bei der Suche nach Verdächtigen ist. Dem Europäischen Netzwerk gegen Rassismus (ENAR) zufolge wirkt es im Bereich der Verbrechens- und Terrorbekämpfung kontraproduktiv, weil es genau die Gemeinschaften ausgrenzt, auf deren Mitarbeit die Behörden angewiesen sind. Auch könne es dazu führen, dass bestimmte Tätergruppen erst gar nicht in das Blickfeld der Strafverfolgungsbehörden geraten.

In Deutschland zeigt das Versagen der Ermittlungsbehörden im Fall der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds, wie ineffektiv Racial Profiling ist. Die Polizei vermutete jahrelang, die Verbrechen seien von der Organisierten Kriminalität im Rauschgiftbereich mit Kontakten in die Türkei ausgeführt worden und verdächtigte sogar Angehörige. Die Vermutungen der Hinterbliebenen auf eine rechtsradikalen Hintergrund wurden ignoriert, bis die Terrorzelle im Jahr 2012 aufflog. Nicht nur die Behörden hatten sich auf ein Täterprofil festgelegt, auch viele Medien legten sich unter dem Begriff »Döner-Morde« auf die Täterschaft fest.

Racial Profiling ist daher keine Randfrage des deutschen Rechts, sondern ein Kernanliegen des freiheitlichen und auf Menschenrechten basierenden Rechtsstaates. Der Staat ist verpflichtet sicherzustellen, das keines seiner Organe Personen aufgrund unveränderlicher Merkmale pauschal verdächtigt. Racial Profiling missachtet die Gleichheit aller und verletzt somit die Menschenwürde.

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