Wie Nazis eine LINKE-Abgeordnete aus ihrem Büro vertrieben

Wie Rechtsradikale den Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg erobern wollen

  • Hendrik Lasch, Chemnitz
  • Lesedauer: 7 Min.

»Ihre Zukunft, ihre Idee«, heißt es über verheißungsvollem Lächeln im Fenster eines Geschäfts auf dem Sonnenberg. Gegenüber bringt ein Vermieter weniger Poesie auf: »Laden zu vermieten«, heißt es nüchtern. In etlichen weiteren Schaufenstern hängen ähnliche Zettel. Wer in diesem Chemnitzer Stadtteil Räume sucht, so scheint es, der sucht nicht lange.

Der Schein trügt, zumindest, wenn man keinen An- und Verkauf oder ein Massagestudio betreibt, sondern Politik - zumal linke Politik. Susanne Schaper tut das, und das ist offenbar der Grund, warum sie in dem Viertel seit Wochen ohne Erfolg nach einem Ladenlokal sucht. Ganz gleich, ob ihre Mitarbeiter telefonieren oder ein Maklerbüro - sobald die Vermieter erfahren, dass es um ein Abgeordnetenbüro geht, erlahmt das Interesse schlagartig: »Wir schaffen es nicht mal zu einem Besichtigungstermin.«

Beim ersten Mal war es einfacher. Am 5. Mai 2015 eröffnete Schaper ein Bürgerbüro im Sonnenberg, »an Karl Marx’ Geburtstag«, merkt sie an. Die Wahl fiel nicht nur auf das Quartier, weil Schaper dort bei der Landtagswahl im August 2014 ein gutes Ergebnis eingefahren hatte. Der Sonnenberg ist auch ein altes Arbeiterviertel, in dem noch viele Häuser aus der Gründerzeit erhalten geblieben sind, das aber noch nicht so gediegen saniert ist wie der im Westen der Stadt gelegene Kaßberg. Bei Studenten erfreut sich die Gegend steigender Beliebtheit; es gibt viele bunt bemalte Fassaden und alternative Treffpunkte wie das »Lokomov«. Schaper sagt: »Hier entwickelt sich was.«

Allerdings entwickelt sich nicht alles zum Guten. »Ich bin gewarnt worden«, räumt die Politikerin ein. Der Sonnenberg gilt als Gegend mit einer aktiven rechten Szene. Vor allem seit Frühjahr 2016 zeigte sie massiv Präsenz - zum Beispiel an Häuserwänden im Quartier, das mittels gesprühter Aufschriften als »Nazikiez« deklariert wurde. Laut sächsischem Innenministerium geht die Aktion auf die Kappe einer Gruppierung, die als »Rechtes Plenum« bezeichnet wird, nach dem Titel einer Seite bei Facebook aber auch »Kopfsteinpflaster« heißt. Das Ministerium beziffert die Zahl der Mitglieder auf Anfrage von Schapers Fraktionskollegin Kerstin Köditz auf »mindestens 11«. Zu den Aktionsformen gehören auch Demoschulungen mit gutem Zulauf von außerhalb sowie eine am 17. April durchgeführte »Nachtwache im Kiez«.

Auch Schapers Büro erhielt immer öfter nächtlichen Besuch. Nachdem zu ihrer Überraschung die ersten drei Monate ruhig geblieben waren, gab es Ärger fast im Wochentakt. Tierkadaver und Fäkalien lagen vor der Tür; Farbeimer wurden im Eingang entleert; auf einem ihrer Plakate wurde ihr ein Hitlerbärtchen aufgemalt. Ein auf Folie gedrucktes Porträt der Politikerin wurde abgerissen und durch ein Plakat des Chemnitzer Pegida-Ablegers ersetzt. Die Fassade wurde mit Farbbeuteln beworfen; Spuren sind auch ein Vierteljahr nach ihrem Auszug noch zu sehen. »Es steigerte sich von Mal zu Mal«, sagt Schaper. 22 Anschläge gab es in den 17 Monaten, in denen das Büro bestand. Am Ende wurden die Scheiben mit Steinen eingeworfen und ein riesiges Hakenkreuz an die Fassade gemalt. Danach zog der Vermieter die Reißleine. Erst schickte er eine saftige Mieterhöhung und die Forderung, künftig alle Schäden selbst zu übernehmen; danach folgte die Kündigung.

Mit Vorwürfen an den Hauseigentümer hält sich Schaper zurück. Auch ihr ist klar, dass die fortwährende Eskalation auch Auswirkungen auf andere Mieter im Haus hat - so wie sie bei ihr, ihren Mitarbeitern und ihrer Arbeit Spuren hinterließ. Oftmals sei sie morgens mit mulmigem Gefühl in den Sonnenberg gefahren, sagt sie. Zu Veranstaltungen, die im Bürgerbüro angeboten wurden, kamen zunehmend weniger Leute. »Ich wollte vor Ort sein, ich wollte an die Leute ran und ansprechbar sein«, beschreibt sie ihr ursprüngliches Ziel. Wenn niemand mehr kommt, funktioniert das nicht. Und wer sollte noch mit gutem Gefühl zu Veranstaltungen kommen, wenn im Hintergrund Gruppen augenscheinlich Rechter stumm Präsenz zeigten? Wer sollte noch engagiert in dem Büro arbeiten, wenn man selbst mitten am Tag erleben muss, wie Passanten an die Scheibe rotzen? Sie müsse sich nicht wundern, wurde ihr irgendwann einmal vorgehalten - bei der Partei, für die sie stehe. Schaper ist fassungslos - und wird prinzipiell: »Das ist offener Faschismus.«

Schapers Erfahrungen im Sonnenberg sind extrem; ein Einzelfall sind sie nicht mehr. Von 2010 bis 2015 gab es bundesweit 461 Übergriffe auf Abgeordnetenbüros. In Sachsen, geht aus Antworten auf Anfragen der AfD im Landtag hervor, stieg die Zahl von 29 im Jahr 2014 über 40 im Folgejahr auf 71 allein bis Oktober 2016. Mehr als 40 davon trafen Büros der LINKEN, nicht ganz so viele solche der AfD. Diese beklagt auch in Chemnitz regelmäßig Attacken. Teils wurde dabei Buttersäure eingesetzt, teils hinterließen die Täter Morddrohungen.

Susanne Schaper heißt derlei Formen der Auseinandersetzung auch mit der politischen Konkurrenz von rechts nicht gut. Allerdings macht sie auf einen gewichtigen Unterschied aufmerksam: »Dort stand nie ›Links befreite Zone‹ an der Wand oder ›Zeckenkiez‹.« Im Sonnenberg aber wird mit Parolen wie »Nazikiez« operiert - um einen politischen Anspruch zu bekunden: Die Rechtsextremen wollten sich »einen Raum schaffen, in dem sie frei von Widerstand und Repression tun können, was sie wollen«.

Die Einschätzung war im November in einem langen Text zu lesen, der auf dem linksalternativen Portal Indymedia veröffentlicht wurde und in Chemnitz für Furore sorgte. Mit Klarnamen und Adressen wurden mehr als ein Dutzend mutmaßliche Mitglieder von »Rechtes Plenum« und »Kopfsteinpflaster« regelrecht »geoutet«. Die Auswertung sozialer Netzwerke brachte dabei nicht nur Bilder nächtlicher Sprayer-Aktionen sowie von Nazi-Demos zutage. Informiert wurde auch über die bundesweite Vernetzung der Aktivisten, die in dem Beitrag als »Nazi-Hipster« bezeichnet wurden - »coole, fesche« Typen, die, wie es hieß, »mit Mate und Jutebeutel für die National Befreite Zone« auf dem Sonnenberg stritten. Zimperlich agieren sie und ihre Gesinnungskameraden dabei nicht. In dem Viertel wurden von Januar 2014 bis November vorigen Jahres 75 rechte Straftaten verzeichnet, heißt es in der Antwort des Innenministers auf eine Anfrage des Chemnitzer Grünenpolitikers Volkmar Zschocke. Bei den meisten handelte es sich um »Farbschmierereien« - mit denen die Nazis ihr Revier markieren und Gegner einschüchtern. Ein Drittel der Vorfälle konnte nicht aufgeklärt werden.

Die Publikation bei Indymedia erfolgte wohl nicht zufällig am Tag, bevor sich das Auffliegen des NSU zum fünften Mal jährte: jenes braune Terrornetzwerk, dessen Mitglieder jahrelang in Chemnitz im Untergrund leben konnten - was kein Zufall war, sagt Ralf Hron, Chef des DGB in Südwestsachsen: »Sie hatten hier ein perfektes Umfeld.« Wie vielgestaltig die Szene in der Stadt agiert, ist in einer vom DGB herausgegebenen Broschüre und auf der darauf basierenden Internetseite »Wachsam in Chemnitz« zu lesen (siehe Spalte rechts). Wie selbstbewusst ihre Angehörigen agieren, bekam auch der Gewerkschafter zu spüren: als ein im Text als aktiver Nazi Genannter zunächst in Hrons Büro Rabatz machte und später mit Hilfe eines Anwalts, der auch Stadtrat von Pro Chemnitz ist, auf juristischem Wege die Veröffentlichung der Broschüre monatelang verhinderte.

Hron verfolgt auch die Entwicklung auf dem Sonnenberg - nicht zuletzt, weil er quasi Anwohner ist: Das derzeitige DGB-Büro liegt ebenso dort wie das traditionsreiche Chemnitzer Gewerkschaftshaus, das Ende 2017 nach der Sanierung wieder bezogen wird. Eingedenk der Tatsache, dass sich Gewerkschaften ähnlich offensiv gegen Rechts engagieren wie Susanne Schaper, und mit Blick auf die Lage des Hauses an einer Hauptstraße am Sonnenberg »mache ich mir so meine Gedanken«, räumt Hron ein - der es zugleich »unerträglich« findet, wie die Linksabgeordnete vertrieben wurde. Genauso »unhaltbar« nennt Hron es freilich, dass Täter angeblich nicht aufzuspüren seien und dass weder bei den Sicherheitsbehörden noch in der Stadtverwaltung »ein größerer Aufstand« zu vernehmen sei. »Wenn das Schule macht und gewählte Abgeordnete straflos vertrieben werden dürfen«, sagt Hron, »dann ist es mit der Demokratie bald vorbei.«

Ähnlich prinzipiell sieht Schaper die Angelegenheit. Sie hat Angebote wie das für Büroräume in einem Einkaufspark am Stadtrand nicht angenommen, und auch in einen anderen Stadtteil will sie zumindest vorerst nicht ausweichen. »Ich habe den Ehrgeiz, im Sonnenberg zu bleiben«, sagt sie, »alles andere wäre eine Kapitulation.« Ohne Räume freilich geht das nicht. In ihrer Verzweiflung scheint sie sich das Motto eines der Hauseigentümer zu eigen gemacht zu haben: »Ihr Zukunft, ihre Idee«. Vielleicht, sinniert sie, müsse man eine Genossenschaft gründen und Räume erwerben. Weil sie als Abgeordnete auf anderem Weg nicht mehr fündig zu werden scheint.

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