Europas Linke twittern Morgenluft

Bruch der »Großen Koalition« bei Präsidentenwahl im EU-Parlament wird als Chance für mehr Mitsprache gesehen

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn das Europaparlament am Dienstag einen neuen Präsidenten wählt, bedeutet das einen Schub für mehr Demokratie. Warum? »Seit mindestens 2004 wird es das erste Mal sein, dass nicht schon alles vorentschieden ist und nur noch zu einem formalen Akt verkommen ist«, erklärte Gabi Zimmer, Vorsitzende der Linksfraktion im Europaparlament, auf einer Pressekonferenz am Donnerstag in Brüssel.

Denn bekanntlich hatten sich die beiden größten Fraktionen, die bürgerliche EVP mit den deutschen CDU/CSU-Abgeordneten und die sozialdemokratische S&D mit den deutschen SPD-Politikern, schon vor jeder Präsidentschaftswahl darauf verständigt, wer der Sieger sein sollte. Auch die europäischen Liberalen der ALDE mit den deutschen FDP-Politikern gehörte zu dieser Koalition, wie am Montag die Veröffentlichung der Absprache durch den aktuellen EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) deutlich gemacht hatte.

Gebrochen mit dieser Tradition hat der Italiener Gianni Pittella, aktueller Fraktionschef der S&D. Ein Grund für die Linken, ihn zu wählen? Keineswegs. Vielmehr gehen die Linken mit einer eigenen Kandidatin ins Rennen: Eleonora Forenza, ebenfalls Italienerin, Mitglied der neo-kommunistischen Partei Partito della Rifondazione Comunista-Sinistra Europea; 40 Jahre alt, aus der süditalienischen Stadt Bari. Oder, wie Zimmer sie charakterisiert: »Jung, engagiert, und eine Feministin aus Südeuropa.« Damit sei Forenza eine »echte Alternative zu allen anderen Kandidaten«.

Dass sie keine Chance haben wird, scheint allerdings klar. Doch wer von den am Ende übrig gebliebenen Kandidaten im entscheidenden Wahlgang am ehesten mit der Unterstützung der Linken zu rechnen hat, lässt diese offen.

Sichtlich genießt Zimmers Fraktion die neue Rolle, mit ihren Stimmen vielleicht entscheidend für die Wahl des künftigen Präsidenten zu sein. »Wem wir unsere Stimmen geben, werden wir nach jedem Wahlgang beraten«, sagt Zimmer. Am natürlichsten wäre eine Unterstützung von Pittella, der neben Antonio Tajani (EVP) und Guy Verhofstadt (ALDE) am ehesten in der letzten Runde erwartet wird. Doch eine Festlegung - Fehlanzeige. Dafür eine Forderung: Wichtig sei, dass die Linke wieder einen der Vizepräsidenten stellen kann. Kandidat dafür ist der aktuelle Vizepräsident Dimitrios Papadimoulis von der griechischen Partei SYRIZA. Eine im Dezember beschlossene Wahlordnung stellt die Wiederwahl von Papadimoulis allerdings in Frage. »Das neue System bevorzugt die großen Fraktionen«, beklagt Zimmer. Wer in der entscheidenden Runde zur Präsidentenwahl die Stimmen der Linken bekommen wird, soll auch von den Versprechen abhängig gemacht werden, für die Wahl von Papadimoulis zu sorgen.

Doch nicht nur durch den Bruch der Großen Koalition im Parlament wittert die Linke Morgenluft. Was sich virtuell in den sozialen Netzwerken und real in den politischen Gremien widerspiegelt. Auch durch die Wahl von Gregor Gysi zum Chef der Partei der Europäischen Linken (EL) versprechen sich linke Politiker mehr Dynamik für ihre Ideen in Europa. »Linke Parteien müssen die EU zu ihrer Arena machen«, fasst Gysi eine seiner Prioritäten als EL-Präsident zusammen. Am Donnerstag war Gysi zu Besuch in Brüssel und hatte sich dabei auch mit dem scheidenden EP-Präsidenten Martin Schulz getroffen.

Gysi will einen neuen Anlauf unternehmen, die europäische Öffentlichkeit auf linke Ideen aufmerksam zu machen. Denn dass die Linke Europa wolle und ein Zurück zur Nationalstaatlichkeit »schlimm« sei, habe er auch Schulz deutlich gemacht. EL und Linke im Europaparlament seien glühende Verfechter der europäischen Idee. Die allerdings anders aussehe als die aktuelle EU-Politik, die mit unnachgiebigen Sparzwängen und deutscher Dominanz mehr zur Zerstörung der EU beitrage als zu ihrer Stärkung.

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