Vom Rhein geschluckt und ausgespuckt

Der Barbarenschatz von Neupotz im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte

  • Ronald Sprafke
  • Lesedauer: 6 Min.

Als vor exakt fünfzig Jahren ein Schwimmbagger im Altrheinarm bei Neupotz nördlich von Karlsruhe außer Kies und Steine einige korrodierte und zerbeulte Gegenstände auf die Stahlroste kippte, ahnte niemand etwas von der sich anbahnenden Sensation. Dreißig Jahre später waren aus der Kiesgrube über tausend Objekte aus Eisen, Bronze und Silber ans Tageslicht geholt worden. Freilich, es war nicht der viel gesuchte Nibelungen-Schatz. Und auch das viel besungene Rheingold wird weiterhin von den drei Rheintöchtern achtsam bewacht. Aber die Funde von Neupotz erwiesen sich als der größte Metallfund aus der Römerzeit nördlich der Alpen.

Die Besitzer der Kiesgrube, Ludwig und Willi Kuhn, sorgten sich um die Bergung, Restaurierung und öffentliche Präsentation der einzigartigen Exponate. 2006 wurden sie im Historischen Museum der Pfalz in Speyer ausgestellt. Weitere Museen im In- und Ausland folgten. Nun ist der Schatz als Leihgabe für ein Jahrzehnt in der Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel zu bewundern.

Der Ausstellungsort ist glücklich gewählt. Betritt man über das große Treppenhaus das erste Obergeschoss, wird der Besucher im Bacchussaal vom »Xantener Knaben« empfangen. Die Bronzestatue begrüßte einst im Hause eines reichen Römers als »stummer Diener« die Gäste, reichte ihnen auf einem Tablett Speisen und Getränke in kostbaren Gefäßen. 1858 wurde er von Fischern bei Xanten im Rhein entdeckt. Nun steht der Jüngling nicht mehr allein. In vier Großvitrinen werden 300 Einzelstücke aus dem Fund von Neupotz gezeigt.

Dessen Geschichte führt zurück in das 3. Jahrhundert n. Chr. Das Imperium Romanum befand sich in einer schweren Krise. Rom führte Krieg an allen Grenzen: gegen die Perser am Euphrat, gegen Goten und Karpen auf dem Balkan, gegen Germanen an Rhein und Donau. Germanische Stammesgruppen nutzten die Schwäche des Reichs. Sie wollten am Wohlstand der römischen Bürger teilhaben, überrannten den Limes und drangen weit nach Gallien und Italien vor. Kleinere Städte, Dörfer und reiche Gutshöfe waren machtlos. was nicht niet- und nagelfest war, wertvoll und nützlich erschien, wurde von den Germanen geraubt und nach Hause geschleppt. Auf ihrem Rückweg mussten sie mit den oft überladenen Wagen über den Rhein setzen, auf dem aber die römische Flotte patrouillierte. Da blieb es nicht aus, dass so manche Fuhre mit Diebesgut im Fluss versank. Dem Unglück einst verdankt sich das Glück von 16 großen und kleineren entdeckten Schätzen im Rhein zwischen Karlsruhe und Mannheim, darunter jenen von Neupotz.

Dieser wurde offenbar im Frühjahr oder Sommer 260 vom Fluss »geschluckt«. Dafür spricht die jüngste der 39 Münzen, geprägt von Kaiser Gallienus 258-259. Ob der Schatz von Neupotz wegen Unterschätzung der Tücken des Stromes oder bei einer Kollision mit der römischen Rheinflotte gesunken ist, wird sich wohl nicht mehr exakt klären lassen. Dessen Vielfalt - Gefäße, Tafel- und Küchengeschirr, landwirtschaftliche Geräte, Werkzeuge, Waffen, Wagenteile etc. - lässt aber sehr wahrscheinlich sein, dass es sich um einen Beuteschatz handelte.

Die Objekte - insgesamt 700 Kilogramm schwer - geben detaillierten Einblick in das Alltagsleben der römischen Provinzialbevölkerung wie auch in die Begehrlichkeiten der Alamannen. Einfaches Koch- und Küchengeschirr aus Bronze und Eisen ist in großer Zahl mitgenommen worden: Eimer, Pfannen, Siebe, Kessel mit Ketten zum Aufhängen und Dreifüße zum Aufstellen. Mehrere Kessel sind derart groß, dass sie den Alamannen gleichzeitig als Transportbehälter für andere erbeutete Güter dienten. Das Tafelgeschirr ist teils aus massivem Silber, teils versilbert, zumeist aber aus Bronze oder teilweise versilbert.Servierplatten und Teller, Schüsseln, Kannen und Becher sind mit Reliefs und Einlegearbeiten geschmückt. Auffallend ist die relativ große Zahl zerhackter Gegenstände. Die Germanen schätzten an den römischen Objekten nicht nur den Gebrauchs-, sondern auch Materialwert, wie ein mit Reliefs geschmückter Silberbecher oder in der Mitte zerschnittene Silberteller und Platten bezeugen. Das Material wurde dann mitunter neu verarbeitet.

Antike Quellen berichten, dass nicht nur Gegenstände, sondern auch Menschen nach Germanien verschleppt wurden. In der Ausstellung sind mehrere eiserne Handschellen und Fußfesseln zu sehen. Unsicher bleibt, ob diese als Rohmaterial mitgenommen wurden oder mit ihnen Gefangenem gefesselt waren, die dann mit der ganzen Beute in den Fluten des Rheins verschwanden. Das gewaltsame Verschleppen römischer Handwerker und Künstler ist jedenfalls nicht auszuschließen.

Eiserne Werkzeuge Holz- und Metallbearbeitung waren für die Alamannen von besonderem Interesse, wie Äxte und Schäleisen, Sägen, Zugmesser, Raspeln und ein Satz Löffelbohrer, aber auch schwere Zangen, Hammer und Amboss belegen. Viehglocken, Hufmesser und Bügelscheren für die Schafschur verweisen auf intensiv betriebene Viehhaltung. Der Ackerbau ist vertreten mit Heugabeln, Hacken, langen Sensenblättern und einem Dengelamboss. Die ausgestellten Objekte verdeutlichen, dass sich die Form vieler Arbeitsgeräte im Laufe von zweitausend Jahren kaum geändert hat. Rund-, Flach- und Vierkantfeilen, Bügel- und Gelenkscheren, Fuchsschwanz, Stichsäge und Spannsäge finden wir auch heute noch im Baumarkt. Elf römische Langschwerter, dazu Lanzen- und Speerspitzen und eiserne Geschossbolzen gehören ebenfalls zum Fundgut von Neupotz. Ob sie Teil der Beute waren oder zur alamannischen Bewaffnung gehörten, ist nicht sicher.

Den Rückweg traten die Germanen mit schweren, von Maultieren oder Ochsen gezogenen, vierrädrigen Wagen an. In einer Vitrine sind Wagenteile ausgestellt: Große Radreifen, die die hölzernen Speichenräder umspannten, Teile von Achsen und Naben sowie Beschläge des Wagenkastens. Es haben sich sogar zwei hölzerne Speichen im feuchten Rheinboden erhalten. Ein typischer Transportwagen von damals ist zeichnerisch rekonstruiert. Auch die Art des Flussübergangs lässt sich aus den Funden erkennen. Lange Eichenholzstangen dienten beispielsweise als Stakstangen für flache Transportkähne (Prahm).

Weiterführende Lektüre bietet der Begleitband zur Ausstellung, der seit der ersten Präsentation in Speyer bereits in dritter Auflage erschienen ist. Er informiert ausführlich über die historischen Vorgänge im 3. Jahrhundert, schildert die Umstände des Fundes und beschreibt detailliert die einzelnen. Darüber hinaus stellt er weitere Hortfunde aus dem Rhein vor.

Allein die Stücke von Neupotz lassen das ganze Ausmaß der Raubzüge der Germanen erahnen, denn sicherlich ging einst nur ein Teil der Beute verloren, von dem wiederum nur ein Bruchteil bislang gefunden worden ist. Wer sich also auf die Berliner Museumsinsel begibt, um vielleicht Nofretete einen Besuch abzustatten, sollte zuvor unbedingt dem Xantener Knaben und dem Barbarenschatz von Neupotz Aufmerksamkeit schenken.

»Schätze aus dem Rhein. Der Barbarenschatz von Neupotz«, Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel, täglich 10 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt 12 €, ermäßigt 6 €. Katalog: »Der Barbarenschatz - Geraubt und im Rhein versunken« (Theiss, 247 S., geb., 24,95 €).

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