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»Das Patriarchat ist ins Wanken gekommen«

Feminismus von der LINKEN bis zur CDU - ein Gespräch mit Katja Kipping und Jenna Behrends

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 11 Min.

Sie kommen aus zwei Parteien, die politisch nicht gerade Nachbarn sind. Eine Feministin in der LINKEN ist keine Seltenheit. Frau Behrends, was hat Sie ausgerechnet in die konservative CDU verschlagen?
Behrends: Es ist doch wichtig, Feminismus in Parteien hineinzutragen, in denen er noch nicht so präsent ist. Vor allem in eine breite Volkspartei, die viele Leute mitnimmt.

Die Junge Union hat Plakate, auf denen eine Frau in schwarzem Slip abgedruckt ist, die sich das Höschen leicht herunterzieht. »Wir gehen tiefer«, steht darauf. Wer wird von so etwas mitgenommen?
Behrends: Viele Parteien haben Plakate von früher im Giftschrank, die ihnen heute peinlich sind. Ein solches wird heute nicht mehr gemacht.

Katja Kipping und Jenna Behrends

Katja Kipping ist seit 2012 Bundesvorsitzende der LINKEN. Die 39-jährige Mutter einer kleinen Tochter lebt und arbeitet in Berlin und Dresden und teilt sich die Erziehungsarbeit mit ihrem Partner zu gleichen Teilen. Termine ihres Mannes und ihrer Tochter stehen ebenso in den Kalendern ihres Büros wie ihre eigenen – privaten wie politischen.

Jenna Behrends ist seit 2013 Mutter einer kleinen Tochter, seit April 2015 Mitglied der CDU und wurde 2016 als Quereinsteigerin in die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin Mitte gewählt. Im September veröffentlichte sie einen Offenen Brief, in dem sie den Sexismus in der CDU anprangerte. Beide Politikerinnen bezeichnen sich als Feministinnen, wenngleich Katja Kipping Wert auf die »marxistische« Feministin legt. Mit den Frauen sprach für »nd« anlässlich des Frauenkampftags Elsa Koester.

In Ihrem Offenen Brief an die CDU haben Sie den Sexismus innerhalb der Partei angesprochen. Frank Henkel soll Sie ein »süßes Mäuschen« genannt haben. Wie haben Parteikollegen darauf reagiert?
Behrends: Gerade von Frauen habe ich viel positives Feedback bekommen. Einige haben mir gesagt, dass sie Ähnliches erlebt haben - es aber nie öffentlich gemacht haben.

Aber es gab auch ordentlich Gegenwind von CDU-Frauen. Sandra Cegla, die Vorsitzende der Frauen- Union in Berlin Mitte, warf Ihnen vor, Sie würden sexuell offensiv auf Männer zugehen.
Kipping: Wie bitte?! Das ist echte Komplizenschaft mit dem Patriarchat. Und das in Zeiten, in denen der Feminismus sich harten Angriffen ausgesetzt sieht.

Und wie haben Männer auf den Brief reagiert?
Behrends: Meine Lieblingsgeschichte ist die eines älteren Herren, der oft sagt, er sei seit mehr als 40 Jahren in der Partei und wisse ganz genau, wie das laufe. Als er zu mir kam, schwante mir nichts Gutes. Aber er sagte: »Ich habe nach Ihrem Brief mit meinen Töchtern gesprochen, Sie ahnen gar nicht, was die mir für Geschichten erzählt haben. Ich bin seit mehr als 40 Jahren in der Partei und wissen Sie was? Anders als über einen Offenen Brief hätte man das Thema nicht platzieren können.« Das hat mich sehr berührt.

Haben Sie in der LINKEN auch schon Sexismus erlebt, Frau Kipping?
Kipping: Meine persönlichen Erlebnisse waren subtiler. Es gibt diese Ohrring-Falle. Du hast gerade mit einem Mann eine sehr harte Auseinandersetzung, über Personalpolitik etwa. Just in dem Moment, in dem ich ein besonders gutes Argument bringe, kommt der Satz: Deine Ohrringe wackeln ja so schön.

Gab es Männerstrukturen, die Sie ausbremsten?
Kipping: Wir haben in allen Gremien eine Frauenquote. Aber als im Zuge der Neugründung auf Fraktionssitzungen manchmal eine Krise ausbrach, fanden sich am Rande auf wundersame Weise einige wichtige Männer zusammen, um das Problem zu besprechen. Ohne die Frauen in wichtigen Positionen dazu zu holen.

Wie reagierten Sie darauf?
Kipping: Ich ging einfach dazu. Ich war ja schließlich gewählt. Aber das zeigt: Es braucht Frauennetzwerke.

Sie sagten vorhin, der Feminismus werde derzeit besonders stark angegriffen. Wieso ist das so?
Kipping: Die Heftigkeit der Kämpfe hat damit zu tun, dass im Bereich der Geschlechterverhältnisse revolutionäre Fortschritte erkämpft wurden. Die Hasskommentare sind Teil einer patriarchalen Gegenrevolution.

Sie meinen, wir stehen kurz vor der Gleichberechtigung?
Kipping. Nein. Aber es ist viel ins Wanken gekommen. Es gibt zum Beispiel immer mehr Väter, die genau so viel Zeit mit dem Kind verbringen wollen wie die Frau. Oder nehmen wir sexistische Sprüche: Sie werden immer mehr mit einem mitleidigen Schmunzeln bedacht. Wenn der Schenkelklopfer plötzlich ausbleibt, fallen manche in eine Krise. Eine Krise der Männlichkeit.

Braucht es dann eine Männerbewegung?
Kipping: Der Feminismus richtet sich nicht gegen Männer, sondern es geht um eine Perspektive für ein gutes Leben für alle. Nehmen wir das 4-in-1-Modell der marxistischen Feministin Frigga Haug. Demnach sollte im Leben von Männern und Frauen gleichermaßen Zeit sein für die vier Tätigkeitsbereiche Erwerbsarbeit, Familienarbeit, gesellschaftliches Engagement und Arbeit an sich selber.

Behrends: Ein spannender Ansatz. Denn es stimmt: Väter werden oft dafür gelobt, dass sie zwei Monate Elternzeit nehmen. Wie modern und fortschrittlich das sei. Dabei bleibt immer noch die Frau die meiste Zeit zu Hause - ohne dafür gelobt zu werden.

Wie steht es bei Ihnen mit Familienarbeit und Zeit für sich? Haben Sie das Gefühl, genug Zeit mit Ihrer Tochter verbringen zu können?
Behrends: Ich verbringe unheimlich gern Zeit mit meiner Tochter. Aber andere Dinge sind mir auch wichtig: Mein politisches Engagement, meine Ausbildung. Ich könnte mir nicht vorstellen, den ganzen Tag als Hausfrau und Mutter nur mit ihr zu verbringen. Darin würde ich mich verlieren.

Teilen Sie sich die Erziehung mit Ihrem Partner?
Behrends: Ich bin nicht mit dem Vater meiner Tochter zusammen, aber wir sind ein gutes Elternpaar. Sie ist oft bei ihm. Er hat jedoch keine Elternzeit genommen. Das war ein Konflikt. Aber er verdiente damals schon und ich studierte. Das hätte sonst finanziell hinten und vorne nicht gepasst.

Kipping: Bei uns hat keiner von beiden Elternzeit genommen. Als Abgeordnete konnte ich das nicht, mein Freund schrieb seine Doktorarbeit.

Wie haben Sie das hinbekommen mit dem Stillen - ohne Elternzeit
Kipping: Zu einigen Sitzungen nahm ich das Baby mit. In Ausschüssen ging das schlechter. Eine Sitzung dauerte dreieinhalb Stunden. Als ich nach dem Mutterschutz zurückkam, hatten wir aber einen Stillrhythmus von drei Stunden. Nach drei Stunden waren die Leute, die im Büro auf meine Tochter aufpassten, echt im Stress. Diese halbe Stunde hat mich damals viel Kraft gekostet.

Sind das immer noch Probleme von weiblichen Politikerinnen? Oder gibt es auch schon Männer, die das Baby mit in Sitzungen nehmen?
Kipping: Ja, in der Linksfraktion gibt es das inzwischen. Ich finde es wichtig, dass nicht nur Leute in Führungspositionen kommen, die keinerlei familiäre Verantwortung übernehmen. Wer selber erfahren hat, wie schwer die Suche nach einem Kitaplatz ist, setzt andere Prioritäten in der Politik.

Behrends: Es ist mir fast unangenehm, dass ich bislang kaum Widerspruch zu Frau Kippings Antworten erzeugen kann …

Sie sind sich in vielem einig. Wäre ein gemeinsames Projekt von CDU- und LINKE-Politikerinnen denkbar?
Behrends: Was im Bundestag vielleicht noch verpönt ist, findet in der Lokalpolitik ständig statt. LINKE stimmen für Anträge der CDU und andersherum. Was im Kleinen funktioniert, kann auch im Großen funktionieren, wenn es ausnahmsweise gemeinsame Positionen geben sollte. Denn wir stehen vor großen Aufgaben. Alleine schon der demografische Wandel. Wir müssen das Renteneintrittsalter dringend weiter nach hinten schieben ...

Kipping: Nicht noch weiter!

Behrends: Wenn wir älter werden, wird es das müssen. Wie soll das Rentensystem sonst funktionieren?

Kipping: Da haben wir jetzt einen klaren Dissens. In der Praxis heißt das: Viele über 65 finden keinen Job mehr und werden dann bis zum Ende ihren Lebens mit Abschlägen bestraft.

Wieso haben wir hier den Dissens, in feministischen Fragen aber nicht? Ist das vielleicht ein neuer politischer Trend - von der LINKEN bis zur CDU verteidigen alle demokratische Werte gegen die Rechtspopulisten? Die feministische Front gegen Trump in den USA reicht ja auch bis zu den Republikanern.
Behrends: Mich freut es, dass sich in den USA solche Massen für feministische Themen mobilisieren lassen. Aber es gibt so viele Menschen, die nicht auf die Straße gehen. Die Trump gewählt haben. Ähnliches gilt für Deutschland. Der Feminismus, der hier in meiner Berlin-Mitte-Blase so eine zentrale Rolle spielt, ist in ländlichen Regionen Niedersachsens gar kein Thema.

Was ist für diese Menschen denn Thema?
Kipping: Die soziale Unsicherheit. Um den Nährboden für Rechtspopulismus auszutrocknen, braucht es eine Politik der sozialen Garantien. Schöne Worte reichen da nicht.

Vielleicht finden wir die Unterschiede zwischen dem CDU- und dem LINKE-Feminismus ja hier. Konkret: Was sind Ihre Vorschläge?

Wir werden unterbrochen. Hinter uns im Café dröhnen zwei junge Männer schon länger laut herum, jetzt verstehen wir unser eigenes Wort nicht mehr. »Jungs, könnt ihr uns einen Gefallen tun und leiser sprechen?«, ruft Katja Kipping. »Wir versuchen, ein Gespräch zu führen.« - »Das ist nicht euer Privatbereich hier!«, pöbelt einer der Typen zurück. Kipping: »Nur ein bisschen leiser, bitte. Ihr müsst ja nicht schreien. Vielen Dank.« Gelächter über dieses passende Beispiel von Alltags-Geschlechterkämpfen.

Sie sagten, Sie wollten die soziale Unsicherheit bekämpfen. Wie?
Kipping: Wir brauchen ein Renten- und Steuersystem, mit dem Menschen mit mittleren Einkommen deutlich besser gestellt werden. Niemand darf im Bedarfsfall unter 1050 Euro fallen. Wir brauchen eine solidarische Mindestrente, eine sanktionsfreie Mindestsicherung.

Kann man auch mit der CDU eine solche Politik durchsetzen?
Kipping: Das kann man mit einer Mitte-Links-Regierung. Bei einer Regierung mit CSU-Beteiligung werden ja eher AfD-Positionen in die Regierungspolitik eingespeist.

Frau Behrends, stärkt die CDU AfD-Positionen? Wenn wir uns Silvester 2015 in Köln anschauen - da haben CDU-Politiker nach verstärkter Abschiebung gerufen. Wurden dadurch nicht die sexuellen Übergriffe, die es bei vielen Events in Deutschland gibt, auf Geflüchtete reduziert?
Behrends: Die Frauen haben am Silvesterabend Schreckliches erlebt und dies rief eine Verunsicherung in der Bevölkerung hervor. Ich glaube, dass es wichtig war, die Vorkommnisse politisch aufzugreifen. Sonst hätte man das Thema komplett der AfD überlassen.

Kipping: Eine der besten Wortmeldungen nach Köln war die Initiative #ausnahmslos: Hier ging es darum, sexuelle Gewalt überall anzugreifen. Zu Hause, auf dem Oktoberfest, in Köln vor dem Hauptbahnhof. Wer sich nur gegen Nichtdeutsche wendet, missbraucht den Feminismus, um Rassismus freien Lauf zu lassen.

Die CDU hat #ausnahmslos nicht unterstützt. Warum?

Behrends: So sehr ich #ausnahmslos inhaltlich geschätzt habe: Ich fand den Aufruf zeitlich schlecht positioniert. Die emotionale Aufregung war in diesem Moment zu groß. Es war wichtiger, die Sorgen der Leute ernst zu nehmen. Alle mitzunehmen.

Kipping: Aber es ging doch nicht um eine Relativierung, sondern darum, klar zu machen: Wir treten sexualisierter Gewalt überall entgegen. Egal, welcher Herkunft die Täter sind.

Frau Behrends, wenn Sie sagen, Sie wollen alle mitnehmen: Denken Sie, dass man die migrantische Community nach Silvester mitgenommen hat, indem man die Frage nach sexueller Gewalt durch Weiße erst einmal zurückgestellt hat?
Behrends: Ich glaube, am wichtigsten sind konkrete Lösungsvorschläge für die Situation. Was können wir tun, damit wir uns sicherer fühlen? Von der LINKEN habe ich leider keine gehört.

Kipping: Was sicher kein guter Vorschlag ist, ist die Anwendung von Racial Profiling wie zu Silvester 2016, und nur blonde und blauäugige Menschen auf die Domplatte zu lassen. Es ist hingegen sinnvoll, mehr Streifenpolizei im öffentlichen Raum einzusetzen.

Was kann noch gegen Gewalt an Frauen getan werden?
Kipping: Frauenschutzhäuser besser finanzieren. Die meiste Gewalt findet in der Partnerschaft und zu Hause statt. Und das Sexualstrafrecht hatte eine Schutzlücke. Wir haben gefordert, die zu schließen. Da ist ja durchaus was passiert.

Behrends: Zustimmung!

Kipping: Wir müssen aber auch darüber sprechen, was geflüchteten Frauen passiert. Das tut die CDU nicht.

Kümmert sich die Große Koalition nur um weiße, privilegierte Frauen? Etwa, wenn bei der Erhöhung des Unterhaltsvorschusses Hartz-IV-Betroffene ausgeschlossen werden?
Behrends: An dieser Stelle falle ich vielleicht etwas aus meiner Partei heraus. Ich fordere seit langem, dass etwas gegen die Kinderarmut getan wird. Und trete für ein bedingungsloses Kindergrundeinkommen ein - für alle.

Aber Hand aufs Herz - wäre eine alleinerziehende Mutter, die von Hartz IV leben muss, mit einer Politik der LINKEN aktuell nicht besser aufgehoben als mit der CDU?
Behrends: Ich kann nicht abstreiten, wenn Sie konkret nach dieser Mutter fragen, dass es sich da um eine vernachlässigte Zielgruppe handelt. Dieses Lebensmodell ist politisch leider noch nicht vorgesehen. Für alle Parteien steht an, den Familienbegriff neu zu definieren und nicht von einer Ehe abhängig zu machen.

Kipping: Richtig. Deshalb müssen wir aufhören, den Trauschein über das Ehegattensplitting steuerlich zu fördern.

Behrends: Auch in der CDU gibt es Ansätze, das Ehegattensplitting in Frage zu stellen.

Sie finden also auch, man könnte das Ehegattensplitting endlich abschaffen?
Behrends: Ja. Mit einer Übergangsfrist. Denn Frauen, die schon zu Hause geblieben sind, können auch nicht von heute auf morgen wieder in den Beruf einsteigen.

Kipping: Es ist wichtig, dass das Splitting - nach der Möglichkeit einer Übertragbarkeit des Steuerfreibetrages - abgeschafft wird. Die Wurzel der Geschlechterungerechtigkeit ist die Ungleichverteilung der Tätigkeiten. Die prestigeträchtigen Spitzenpositionen sind nach wie vor in Männerhand, die liebevolle, unbezahlte Sorgearbeit liegt in Frauenhand. Es braucht eine Umverteilung. Davon haben beide Geschlechter etwas.

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