Die Anarchie und Schärfe des Jazz

Dem linken Komponisten Max E. Keller zum 70.

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Schweizer Komponist Max E. Keller, er lebt in Winterthur, darf mit Stolz auf seine Entwicklung zurückblicken. Seine erste musikalische Tätigkeit war, wie bei den meisten angehenden Musikern, Klavier zu spielen. Der Junge blies zudem die Blockflöte, ganz so, wie es sich für den bürgerlichen Musikunterricht gehörte. Aber bald trat er aus solcher Sittsamkeit heraus und fuhr auf völlig anderen Gleisen. Das »Theater am Gleis«, wichtige Aufführungsschiene in Winterthur, sollte ihm bald zweite Heimat sein und über viele Jahre sein Talent als Pianist und Komponist kenntlich machen.

Kellers erstes, als gültig erachtetes Stück ist komischerweise eine »Werbemusik für zwei Pianisten« (1973). Zuvor Reflexe auf Unruhen in der Welt. Vietnamkrieg; Jugend riss die Fäuste hoch. Das ergriff auch ihn. Sein 1976 komponiertes Stück »Sicher sein ...« für Sprecher und Tonband attackiert das Bankenunwesen in der Schweiz. Zugleich Produkt seiner frühen Arbeit mit den Möglichkeiten Elektroakustischer Musik.

Keller studierte Musikwissenschaft und daneben Komposition bei Helmut Lachenmann und Nikolaus A. Huber, eine Zeit lang auch im Elektronischen Studio der Musikakademie Basel bei David Johnson und bei Thomas Keßler. Seither betätigt er sich in den einschlägigen Genres der Neuen Musik, komponierte bislang über 200 Stücke und kann auf diverse Aufführungen im In- und Ausland zurückblicken. Auch organisierte er Musikfestivals wie 1985 die »Tage für politische Musik« in Zürich. Höhepunkt war dort die szenische Aufführung der »Missa nigra« von Friedrich Schenker durch die Gruppe Neue Musik »Hanns Eisler« aus Leipzig.

Aus nahezu allen kammermusikalischen Gattungen schöpft Keller und bedient sie. Stücke der letzten Jahre wirken ruhiger, konstruktiver, zurückgenommener als frühere, die Großform in Gestalt von Orchesterwerken zu erfüllen, ist ihm Bedürfnis. Moden jagt er nicht hinterher, er verjagt sie, wenn sie ihm allzu nahe rücken. Die Komposition auf Gedichte und Wortdokumente, der Umgang mit Singstimmen, auch Chören, sind ihm nicht minder wichtig als die ungestüme improvisierte Musik, der er freilich niemals Adieu sagen wird. Denn sie erhitzt seine Kreativität. Sie erinnert ihn daran, wie viel Virulenz Musik hat, wie viel Freiheit, Frechheit sie mitführt. »Die Axt«, eine »Terroroper«, wie er sie nennt, nach der Moritat »Graf Öderland« von Max Frisch komponierte Keller 2004 bis 2006 im Auftrag der Komischen Oper Berlin. Sie harrt noch der Aufführung.

Max E. Keller gehörte zu den ersten Free-Jazz-Musikern in der Schweiz überhaupt. Die Anarchie und Schärfe des Jazz haben dem jungen Mann emphatisch zugesagt, und indem er jene Qualitäten als Pianist selber umzusetzen wusste, stieß er auf Berührungspunkte und Impulse von Neuer Musik, ohne die frühen Neigungen ganz fallen zu lassen.

Seine Kontakte zu DDR- und westdeutschen Musikern rissen nie ab. Die Berliner Szene kennt ihn. Einladungen führten ihn bis nach Südamerika. Keller gehört von Jugend an zur linken Kunstszene, ohne Abstriche auch nach dem Epochenbruch. Eine Vielzahl CD-Aufnahmen mit Musik von ihm ist erschienen, darunter eine mit ausschließlich elektronischen Arbeiten. Seine »Mondlandschaft« für 23 Bläser und drei Schlagzeuger von 1998/99 gehört zu seinen besten Arbeiten. An diesem Sonntag wird Max E. Keller 70 Jahre alt.

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