Der Entertainer

Zum 100. Todestag des Ragtime-Komponisten und Pianisten Scott Joplin

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Traditionellen Jazzern war er bekannt wie der schwarze Schuhputzer um die Ecke. Sie nahmen seine Musik, weil sie eine neue Art der Synkopierung mitführte, die ideal zu benutzen war. Stummfilmbegleiter spannten seine »Rags« ein. Je eckiger die Bewegungen der stummen Darsteller, desto passender deren Melodik und Rhythmik. Mit James Scott und Joseph Lamp machte Scott Joplin den Ragtime weltberühmt. Jeder, der irgendwie zum Spaß klimperte in Honkytonks oder Bars um 1900 in Texas oder St. Louis, spielte seine Musik, entweder aus dem Kopf oder nach Noten. Die ersten Notenausgaben kamen heraus, als die Ragtime Music bereits populär war in Nordamerika. Joplin hatte sie nur noch nicht aufgeschrieben. Ihren Höhepunkt erreichte die Ragtime-Mode um 1910. Der Popularitätsschub war unaufhaltsam. Scott Joplins Musik verbreitete sich wie im Fluge, erst in den Staaten, dann in Europa, bis nach Deutschland. Rag-Musik in Revuen, Caféhäusern zu erleben, in rauchigen Kneipen und zweifelhaften Etablissements, auf der Leinwand und der Bühne, das war neben Foxtrott und Shimmy der Renner der »Golden Twenties«. Die Bearbeitungswut grassierte seinerzeit, wie schon Jahrzehnte vorher. Die Literatur rauf und runter wurde einverleibt, bedarfsgerecht zurechtgestutzt, das heißt runterinstrumentiert, auch im großen Stil verfälscht. Scott Joplins Pianoproduktionen eigneten sich bestens hierfür. In neuerer Zeit ist der »New Rag« für vier Celli, »The Entertainer«, Joplins wohl berühmteste, aber keinesfalls beste Nummer, sogar für fünf Celli bearbeitet worden. Welcher Klavierschüler kannte und kennt »The Entertainer« nicht?

Geboren wurde Joplin 1867 oder 1868, das genaue Datum ist nicht bekannt, in Texas. Eine gefährliche Gegend für Schwarze. Doch der Junge spielte so gut Klavier, dass er Aufsehen erregte. In St. Louis verdiente er bald seine Brötchen als Pianist in Honkytonks und Saloons. Die Ohren der Massen spitzten sich aber vor allem, als er zur Weltausstellung in Chicago seine Rag-Innovationen vorstellte. Joplin spielte auch das Kornett, etwa in der Queen City Concert Band, die Militärmärsche, euroamerikanische Tänze wie die Quadrille, volkstümliche Lieder und Salonmusik spielte. Aus diesem intonatorischen Sammelsurium nährte sich seine Rag-Pianomusik. Anfangs kam sie noch in krudem Zustand daher, später entwickelte der Komponist daraus eine nicht nur rhythmisch, sondern auch melodisch differenzierte Kunst. Auskunft darüber gibt die zweibändige Notenausgabe, die der Leipziger Musikwissenschaftler und Publizist Eberhardt Klemm (1929 - 1991) in den 70er Jahren für die Edition Peters herausgab und kommentierte.

Joplin gründete auch das Vokalquartett The Texas Medley Quartet und die Vaudeville Shows, war also in verschiedenen Sparten bewandert. Dem Komponisten ging es zeitweise recht gut. Die von seiner Hand notierten und verlegerisch verbreiteten Stücke brachten so viel Tantiemen ein, dass er nicht mehr durch die Gegend tingeln musste. Er habe sich ein großes Haus gekauft, um darin zu unterrichten und zu komponieren, so Eberhardt Klemm. Das blieb nicht so. Je mehr Geld floss, desto Größeres hatte Scott vor. So komponierte er das volkstümliche Ballett »Ragtime Dance« und die Ragtime-Oper »A Guest of Honor« und scheiterte mit beidem. Die Oper kam gar nicht erst in Druck. Trotz der Krise arbeitete er in New York 1907 an der dreiaktigen Oper »Treemoniha« und vollendete sie auch, ein Werk, das später als der bedeutendste Vorläufer von Gershwins Oper »Porgy and Bess« etikettiert wurde. Joplin glaubte ernsthaft, mit der Produktion im »seriösen« bürgerlichen Betrieb landen zu können, was für einen Schwarzen seinerzeit unmöglich war. Es gibt nur einen Klavierauszug der Oper. Die Partitur ist verschollen. Erst 1972 wurde das Werk in Atlanta/USA uraufgeführt, was einer Sensation gleichkam. Vergeblich seine Müh: Zermürbt und krank starb Scott Joplin im Manhattan State Hospital am 1. April 1917. Er wurde nur 49 Jahre alt.

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