Landwirtschaft ohne Chemie

Eine französische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass ein erheblich reduzierter Pestizideinsatz keineswegs die Ernteerträge verringert

  • Susanne Aigner
  • Lesedauer: 6 Min.

Bei den jüngsten Großfusionen von Agrarchemiekonzernen gab es staatlicherseits kaum Einwände. Einzige Auflage: Einige gefragte Pestizide sollten die Fusionswilligen an unabhängige Produzenten weiterreichen. Das zeigt, wie wichtig nicht nur in der EU diese Agrarchemikalien wirtschaftlich sind. Das belegen auch Proteste der konventionell wirtschaftenden Bauern gegen Verbote einzelner Substanzen. Doch eine neue Studie aus Frankreich zeigt, dass weniger Chemikalien die Ernteerträge nicht unbedingt mindern müssen.

Das Wissenschaftlerteam um Nicolas Munier-Jolain vom Institut Nationale de la Recherche Agronomique (INRA) hatte Daten von etwa 1000 konventionell wirtschaftenden Bauernhöfen in Frankreich analysiert, die in den Jahren 2009 bis 2011 erfasst worden waren. Wie die Forscher im Wissenschaftsjournal »Nature Plants« (DOI: 10.1038/nplants.2017.8) schreiben, konnten knapp 60 Prozent der Betriebe ihren Pestizidverbrauch um durchschnittlich 42 Prozent senken - ohne dass sich der Ertrag verringert hätte. Im Einzelnen wurden 37 Prozent weniger Herbizide, 47 Prozente weniger Fungizide und 60 Prozent weniger Insektizide gespritzt. Weniger Pestizide auszubringen bedeute für die meisten Landwirte allerdings eine große Herausforderung, räumen die Autoren ein.

Die Ergebnisse der Studie können nur eingeschränkt auf die Situation in Deutschland übertragen werden, gibt Jürgen Schwarz vom Julius-Kühn-Institut in Kleinmachnow zu bedenken. Erstens liege die Datengrundlage bereits einige Jahre zurück. In Deutschland seien zum Beispiel 2014 Krankheiten wie Gelbrost bei Getreide aufgetreten. Zudem gebe es Unterschiede hinsichtlich der Fruchtfolgen, Sorten und auftretender Schädlinge. Daher könne man die Pflanzenschutzpraxis nicht von einem Betrieb auf den anderen übertragen. Maria R. Finckh vom Fachbereich Agrarwissenschaften der Uni Kassel hingegen ist davon überzeugt, dass die Ergebnisse der Studie auf Deutschland übertragbar sind. Würde man beispielsweise rechtzeitig die Schadensschwellen ermitteln, könne man hierzulande sehr wohl Pestizide reduzieren. Vernünftige Fruchtfolgen schonen die Böden, bringen robustere Ernten und minimieren Schädlingsbefall und Beikraut.

Im konventionellen Landbau wird Saatgut häufig mit Insektiziden bzw. Fungiziden behandelt, um die Samen vor Schädlingen und Krankheiten zu schützen. In welchem Umfang eine solche Beizung Regenwürmer und Bodenorganismen schädigen kann, dokumentierten Wissenschaftler der Universität Wien im Fachblatt »Frontiers in Plant Science« (DOI: 10.3389/ fpls.2017.00215). Im Gewächshaus untersuchten sie Saatkörner von Winterweizen, die mit Neonicotinoid-Insektiziden, Strobilurin- und Triazolinthion-Fungiziden sowie einem glyphosatbasierten Herbizid behandelt worden waren. Unerwünschte Nebenwirkung der Beizmittel: Sie reduzierten die Oberflächenaktivität von Regenwürmern, ein Effekt, der durch die Herbizide noch verstärkt wurde.

Kurswechsel in der Landwirtschaft ist überfällig

Wie könnte man die Bauern dazu motivieren, weniger Chemikalien auf die Äcker zu spritzen? Glaubt man der Expertin für ökologischen Pflanzenschutz Maria Finckh, braucht es vor allem Unterstützung beim Erlernen der alternativen Methoden sowie Regelungen, die eine weitere Verarmung an organischer Masse im Boden verhindern und den Anbau von Zwischenfrüchten forcieren. Das könne mit EU-Geldern zur »Entwicklung des ländlichen Raumes« gefördert werden, wodurch kleinere Betriebe gestärkt würden. Vor allem brauche es eine unabhängige, staatliche Beratung und Forschung.

Obwohl Fruchtfolgen die Böden schonen und die Ernten robuster machen, würden diese oft nicht berücksichtigt, kritisiert Finckh. Doch würde sich nichts ändern, wenn Pestizide weiter so billig blieben und es keine Beschränkungen für deren Ausbringung gebe. Vor dem Hintergrund unsicherer Kapitalmärkte verspricht Ackerland als nicht vermehrbare Ressource langfristig sichere Renditen. Der zunehmende Kauf von Agrarland als Geldanlage wiederum hat zur Folge, dass die Pachtpreise anziehen und kleine Betriebe nicht mehr mithalten können. Die Bauern stehen also unter zunehmendem ökonomischen Druck. Ein Umdenken hin zu weniger Chemikalien auf dem Acker falle da nicht leicht, räumt auch das Team von Munier-Jolain ein.

Dennoch liefert ihre Studie Argumente für die neue »Zukunftsstrategie Ökologischer Landbau«, die Bundesagrarminister Christian Schmidt auf der Messe »Biofach« im Februar 2017 vorstellte. Demnach will das Landwirtschaftsministerium künftig 30 Millionen Euro im Jahr ausgeben, damit 20 Prozent der Landwirtschaftsfläche schneller auf ökologische Bewirtschaftung umgestellt werden können.

Mehr Stickstoff durch Hülsenfrüchte

Viel hilft nicht immer viel - gerade was Agrochemie auf dem Acker angeht. Das zeigt auch eine kleinere Studie eines Teams um Stéfanie Nave, die 2013 im Fachjournal »Agronomy for Sustainable Development« (DOI: 10.1007/s13593-013-0144-y) erschien. Das Team hatte dafür den Pestizideinsatz im französischen Weizenanbau untersucht. Von 71 befragten Landwirten verwendeten 29 Prozent vergleichsweise wenig Chemie, allerdings fiel deren Ernte auch geringer aus. 38 Prozent erhielten bei mittlerem Chemieeinsatz hohe Erträge. Dafür fielen bei 33 Prozent der Landwirte, die sehr große Pestizidmengen verspritzten, die Ernteerträge geringer aus. Woran lag’s? Die Großbetriebe waren zu wenig flexibel hinsichtlich ihrer Arbeitskräfte, so die Begründung. Außerdem ignorierten sie die Warnsysteme.

Eine Gruppe von Agrarwissenschaftlern um Alexandra N. Kravchenko von der Michigan State University (USA) verglich ökologische und konventionelle Anbausysteme im Hinblick auf Ertragslücken im Südwesten des US-Bundesstaates. Wie die Autoren in den »Proceedings« der nationalen Wissenschaftsakademie der USA (»PNAS«, DOI: 10.1073/ pnas.1612311114) schreiben, sind Sojabohnen, Mais und Weizen im konventionellen Anbau ertragreicher als im Öko-Anbau.

Eine aktuelle Untersuchung von Wissenschaftlern der University of British Columbia (Kanada) sieht dennoch im Öko-Landbau eine ernst zu nehmende Alternative zum konventionellen Ackerbau. Die Autoren Verena Seufert und Navin Ramankutty werteten eine ganze Reihe von Studien rund um die Faktoren Ertragssicherheit, Bodenqualität, Biodiversität sowie Beitrag zum Klimaschutz aus. Ihr im Fachblatt »Science Advances« (DOI: 10.1126/sciadv.1602638) gezogenes Fazit: Der Verzicht auf Pestizide wirkt sich positiv nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf die Gesundheit des Bauern und seiner Mitarbeiter aus. Der Landwirt profitiert durch höhere Resilienz und gewinnt mehr Autonomie. Dank geringerer Bodenerosion und dem Verzicht auf Pestizide werde zudem die Qualität der Böden und des Wassers besser. Der Anbau von Getreide und Hülsenfrüchten im Wechsel bringt zudem mehr organischen Stickstoff in den Boden und führt laut Seufert und Ramankutty zu guten Erträgen. Die erhöhte Zufuhr organischer Substanz bindet außerdem mehr Kohlenstoff im Boden. Auf der anderen Seite sind die Erträge niedriger und die Preise höher.

Vergiftete Umwelt kostet mehr Menschenleben

Letzterem ist entgegenzuhalten, dass die niedrigen Preise für Lebensmittel aus konventionellem Anbau nicht die wahren Kosten enthalten. Tatsächlich werden Folgekosten durch pestizidverseuchte Böden, nitrathaltiges Wasser, Artensterben, Klimawandel usw. nur in die Zukunft verlagert. Schon jetzt sinkt - nicht zuletzt als Folge übermäßigen Pestizideinsatzes - weltweit die Fruchtbarkeit der Böden.

Auch ein UN-Bericht vom März 2017 warnt vor katastrophalen Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf Umwelt, Mensch und Gesellschaft. So sterben schätzungsweise 200 000 Menschen pro Jahr an den Folgen von Pestizidvergiftungen, die meisten sind Opfer akuter Vergiftungen in den ärmeren Ländern.

Unter dem Vorwand, die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu wollen, fahren Chemiekonzerne satte Gewinne ein: Jedes Jahr werden Agrochemikalien im Wert von rund 50 Milliarden US-Dollar verkauft. Dabei könnten nach Angaben der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO bereits heute neun Milliarden Menschen ernährt werden. Die Menge der produzierten Nahrungsmittel würde völlig ausreichen. Dass trotzdem immer noch 795 Millionen Menschen hungern müssen, hat nicht mit zu geringer Lebensmittelproduktion zu tun. Dafür sind laut FAO unausgeglichene Produktions- und Verteilungssysteme verantwortlich.

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